Karikaturen und andere lachmuskelreizende Waffen der Kritik werden immer häufiger als Hetze geschmäht
Schwere Zeiten für Cartoonisten. Der Comic-Zeichner Ralf König steht wegen einer zumindest objektiv Identitätspolitik auf die Schippe nehmenden Darstellung einer Schwarzen und einer Transfrau auf einem Wandgemälde auf dem queeren Rainbow House in Brüssel unter Rassismus- und Transphobie-Verdacht. Der Streit um eine Trump-und-Netanjahu-Karikatur in der New York Times wuchs sogar zu einem handfesten »Antisemitismus«-Skandal aus. Für das Flaggschiff des liberalen Journalismus in den USA Anlass, seinen Hauskarikaturisten zu feuern und eine Konsequenz zu ziehen, die bislang als schlichtweg unmöglich galt: Seit Juli sind politische Cartoons vollständig aus dem Blatt verbannt. Nicht nur Politiker bringen mit Stürmer-Vergleichen immer häufiger schwere Geschütze gehen Satire und Humor in Stellung. Etwa mit der Überzeichnung von physischen Merkmalen würden Klischees der faschistischen oder kolonialen Propaganda verbreitet, heißt es auch aus dem Lager der Linken. Vertreter der Zunft hingegen sehen die Freiheit der Kunst und deren widerständiges Potenzial durch so ein rigoroses Verständnis von Emanzipation gefährdet. »Jede Ironie, jede satirische Übertreibung, jeder selbstironische Blick«, so Ralf König, könne als Angriff gegen irgendjemanden gewertet werden. Wir lassen folgende These diskutieren:
Politische Korrektheit entwickelt sich zum Machtinstrument gegen kritische Gehalte von Satire und Humor.
PRO
Haltet mal die Luft an!
In die Medienarena wird gegenwärtig eine Menge heiße Luft geblasen. Die Wortwahl der Statements wirkt seltsam gestanzt, das Arsenal der Kraftausdrücke wird überstrapaziert, die Wirkung ist eher betäubend als erhellend. Wer die eh so rar und nur punktuell veröffentlichten satirischen Bildfindungen der wenigen wirklich namhaften Cartoonisten mit Vokabeln wie »rassistisch« oder »islamophob« abfertigt, stellt sich ins Abseits. Zwei Schlagworte allein sind noch keine Argumente. Erschütternd hingegen ist, wie wenig die wortpointierte Bildfindung des Cartoons noch bewirkt.
…Harald Kretzschmar ist Karikaturist, Grafiker und Feuilletonist. Von 1955 bis 1991 arbeitete er als freier Künstler für den Eulenspiegel. 1971 wurde er mit dem Kunstpreis der DDR ausgezeichnet. 1975 war er Mitbegründer des Satiricums in Greiz. Seit 1990 zeichnet und schreibt er für das Neue Deutschland.
Foto: privat
CONTRA
Die Lösung ist Auseinandersetzung
Wir erleben zurzeit einen globalen Wandel: Seit der #MeToo-Bewegung werden kritische Stimmen gegen Sexismus und Frauenfeindlichkeit lauter. Auch die Probleme von Gruppen, die bisher unter der Dominanz der Cis-Feminismen litten, von Menschen, die von Rassismus betroffen sind oder sich nicht ins Cis-Geschlechterschema einordnen, werden hörbarer.
…Sibel Schick ist freie Autorin, feministische Aktivistin und hat als Social-Media-Redakteurin Beiträge zum Emma-Karikaturenstreit publiziert. Sie ist 1985 in Antalya geboren und lebt seit 2009 in Deutschland. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Türkei-Politik, Sexismus, Rassismus, sexuelle Selbstbestimmung und Dating.
Foto: Valerie-Siba Rousparast
Der komplette Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 4/2019, erhältlich ab dem 13. September 2019 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.