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Konstantin Wecker ist in der Pandemiekrise mit politischen Aktionen und Initiativen für Künstlerkollegen in die Offensive gegangen
Für den Liedermacher und Komponisten ist Resignation keine Option. Vor allem spart er nicht an Kritik am Coronakrisenmanagement der Politik. Beispielsweise, was die staatlichen Hilfspakete anbelangt: »Die Milliardensummen für die Lufthansa, die Autoindustrie, sogar reiche Offshoreunternehmen – das alles müssen, wie schon in der großen Finanzkrise 2008, die Steuerzahler aufbringen«, so Wecker im Gespräch mit M&R. Eine wachsende Zahl von Künstlern dagegen – auch kleine Firmen in den Branchen, die Equipment und Dienstleistungen für den Bühnenbetrieb liefern – würde kaum Unterstützung bekommen, viele seien schon pleitegegangen. Das will Wecker nicht hinnehmen: »Die Politiker lassen die Künstler am Existenzminimum dahinvegetieren. Dass Kultur systemrelevant sein könnte, kommt ihnen nicht in den Sinn. Na klar, sie könnte die Menschen ja dazu verführen, nicht alles im Leben der Gewinnmaximierung zu opfern: die eigene Seele, den eigenen Verstand.«
Aber Wecker schaut auch über seinen Tellerrand und will nicht akzeptieren, »dass Rheinmetall und Heckler & Koch weiter Waffen herstellen, wunderbar daran verdienen können und nicht vom Staat verpflichtet werden, medizinische Geräte oder Schutzmasken herzustellen«. Zu den schlimmsten Verwerfungen gehöre die Privatisierung des Gesundheitswesens, daher sei es in der Coronakrise höchste Zeit, die Systemfrage zu stellen: »Es gilt nun, endlich zu begreifen, dass wir seit Jahrzehnten unter der Diktatur des Neoliberalismus leben, also des Kapitalismus in einer radikalen Erscheinungsform.«
Entsprechend »ist jetzt natürlich auch das Widerständige systemrelevant«, betont Wecker. Er stellt aber auch klar, dass dafür nicht unheilige Allianzen eingegangen werden dürfen: »Auf den sogenannten Hygienedemos, die angeblich der Verteidigung der Grundrechte dienen, werde ich mich sicher nicht blicken lassen.« Diese Aktionen seien von Anfang an von Identitären und anderen Rechten gesteuert gewesen. Dagegen hat er sich Initiativen wie »Break Isolation« in München für die von Kontaktsperren und Ausgrenzung betroffenen Pflegeheimbewohner, Asylbewerber und Gefängnisinsassen angeschlossen. Der Kampf für die Interessen der Armen, Marginalisierten und aller von sozialem und ökonomischem Absturz bedrohten Menschen sei dringend notwendig, meint Wecker und hofft, dass sich nun endlich das neu formiert, was derzeit an allen Ecken und Enden fehlt: eine starke, gut organisierte Linke, die auch die berechtigten Ängste der Bevölkerung ernst nimmt.
Vor allem ist der Liedermacher aktiv geworden, wo er ganz in seinem Element sein kann: Bisher hat er drei Konzerte auf die Studiobühne des Bayerischen Rundfunks gebracht, die via Livestream zu sehen waren; für September ist ein viertes geplant. Dass er damit zwischen 300 und 400.000 Zuschauer erreicht hat, freut ihn nicht zuletzt deshalb, weil in den letzten beiden Konzerten seine Herzensanliegen – Frieden und Antifaschismus – im Mittelpunkt standen.
»Ich bin meinem Publikum sehr dankbar für die Spenden von fast 60.000 Euro, die dabei reingekommen sind«, sagt Wecker. Da er selbst ohne Gage auftrat, geht der komplette Erlös an seine Musiker, Techniker und andere Kollegen seines Labels Sturm & Klang. Das gilt auch für jeweils fünf Euro pro verkaufter CD vom Livemitschnitt des zweiten Konzerts mit einer Coronaversion von »Willy«, das unter dem Titel »Poesie in stürmischen Zeiten« erschienen ist.
Bei aller Freude über den Erfolg: Die Onlineauftritte empfinde er auch als »wahnsinnig befremdend«, gesteht Wecker. »Ich vermisse die spürbare Vorfreude, das Knistern vom Publikum im Saal, bevor es auf die Bühne geht.« Aber am 20. August ist es endlich wieder so weit: Im Rahmen der Brucknertage in Linz wird er sein erstes Konzert nach dem Lockdown vor physisch anwesendem Publikum spielen – ein Solo mit strengen Hygieneauflagen. Die wird es auch für weitere Auftritte geben, die im Herbst stattfinden sollen: In Sälen für 1.000 Zuschauer dürften gerade einmal 200 Menschen zugelassen werden. Das kann bedeuten, dass am Ende kaum ein Cent übrigbleibt. Aber Weckers Devise lautet: »Hauptsache spielen. Die Konzerte sind für mich auch immer eine liebevolle Umarmung mit dem Publikum. Jetzt fällt mir erst richtig auf, wie viel Kraft ich daraus gezogen habe.«
red
Der Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 2/2020, erhältlich ab dem 26. Juni 2020 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.