Kolumne Klassendramatik
Reaktionäre Tendenzen im Gewand des Moralisierens
Als hätte der Verlag Matthes & Seitz Berlin es geahnt: Inmitten der pandemiebedingten Stilllegung des Bühnenbetriebs erschien Jakob Hayners Buch »Warum Theater. Krise und Erneuerung«. Statt sich unter diesen Schlagworten in die Selbstreflexion zu begeben und ihren dramatischen Realitätssinn wiederzuentdecken, beweisen die Theater, wie sehr sie unter dem neoliberalen Leistungsdogma stehen. Nahezu panisch wird das schlechte Alte mit digitalen Formen fortgesetzt. Billigend nimmt man dabei in Kauf, dass der Wesenskern des Theaters ausgehöhlt wird: die Anwesenheit.
Zugleich wurde eine Kontroverse losgetreten. Stefanie Carp, Intendantin der Ruhrtriennale, fand sich einmal wieder im Mittelpunkt einer Antisemitismusdebatte, die verlogener kaum sein könnte. Nachdem ihre Einladung der linken Band Young Fathers 2018 für Aufsehen gesorgt hatte, ist sie nun bei den Herrschenden erneut ins Fettnäpfchen getreten. Für die Eröffnungsrede des diesjährigen Theaterfestivals in Bochum hat sie den international renommierten Wissenschaftler Achille Mbembe eingeladen, der sich in der Tradition von Frantz Fanon und Aimé Césaire der grundsätzlichen Kritik an Formen bürgerlicher Herrschaft verschrieben hat. …
Mesut Bayraktar ist Gründer der Zeitschrift Nous – konfrontative Literatur. Neben Erzählungen und Theaterstücken schreibt er Essays, Literatur- und Theaterkritiken für diverse Zeitungen und Zeitschriften. 2018 sind seine Erstlingswerke, das Drama »Die Belagerten« und der Roman »Briefe aus Istanbul«, erschienen.
Der komplette Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 2/2020, erhältlich ab dem 26. Juni 2020 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.