Klassendramatik: Was bedeutet Realismus auf der Bühne?

Das Kollektiv She She Pop inszeniert »Einige von uns« mit Theaterangestellten (2015)
Foto: Julian Marbach
Warum kapitalistische Entfremdung nur durch künstlerische Verfremdung begriffen werden kann
Ist Kunst realistisch, wenn auf der Bühne das Leben einer Verkäuferin durch eine »echte« Verkäuferin abgebildet wird? Theatermacher wie das erfolgreiche Performance-Kollektiv She She Pop oder Rimini Protokoll bejahen diese Ausgangsfrage. Um die Realität unserer Welt zu zeigen, stellt man Experten des Alltags auf die Bühne. Manchmal sind es Manager, manchmal Theaterangestellte und manchmal Vertriebene. Echte Menschen erzählen echten Menschen vom echten Leben. Dabei bleiben sie, wie sie sind. Das ist der Leitgedanke. Resultat ist ein Reality-Show-Theater für Intellektuelle.
In der Tat handelt es sich um ein postmodernes Dogma, das die Dialektik von Schein und Sein zu einer Identität von Schein-Sein degradiert. Aus der Umsetzung, die Realität unvermittelt mit Realität zu wiederholen, folgt, dass der gute Wille sich objektiv in die Zementierung der kapitalistischen Allgewalt des Bestehenden umkehrt. Es kommt zu einer affirmativen Reproduktion des Bestehenden.
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DER KOLUMNIST
Mesut Bayraktar ist Gründer der seit 2013 erscheinenden Zeitschrift Nous. Neue Literatur. Neben Erzählungen und Theaterstücken schreibt er Essays, Literatur- und Theaterkritiken für diverse Zeitungen und Zeitschriften. Sein Erstlingswerk, das Drama »Die Belagerten«, erschien im März 2018, der Debütroman »Briefe aus Istanbul« im Juli 2018.
Der komplette Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 3/2019, erhältlich ab dem 14. Juni 2019 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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