Melodie & Rhythmus

Nach der Perestroika

26.04.2016 15:06

vinyl

Vinyl feiert auch in Russland ein großes Comeback

In Russland existieren rund 60 Musiklabels. MIRUMIR, das zu den größten gehört, spezialisiert sich seit einigen Jahren auf Vinyl. M&R besuchte das Label in Moskau und sprach mit dem Geschäftsführer über seine Erfolgsgeschichte sowie Entwicklungen auf dem russischen Plattenmarkt. Seit etwa vier Jahren ist Igor Tichij (39) Executive Producer des Labels MIRUMIR Music Publishing. Darauf ist er stolz. »Wir sind die Martkführer Innerhalb der vergangenen dreieinhalb Jahre haben wir 241 Interpreten produziert, mehr als alle anderen Labels in Russland gemeinsam«, berichtet Tichij. »Bis Ende 2016 planen wir noch einiges mehr herauszugeben. Die Auflage fängt bei 200 Exemplaren an und endet bei einigen Tausend. Die Schallplatten werden weltweit vertrieben, so haben wir beispielsweise 2.000 Stück mit Eduard Artemjews »Solaris«-Soundtrack verkauft.«

MIRUMIR wurde 2004 – damals noch unter anderem Namen – in Moskau gegründet. Ursprünglich beschäftigte sich das Label nur mit ausländischen Künstlern. Die Plattenfirma kaufte Lizenzen, ließ Vinyl-Schallplatten pressen und vertrieb sie international. Innerhalb von zehn Jahren produzierte MIRUMIR so etwa 600 offizielle Releases ausländischer Musiker und Bands. 2011 richtete man sein Augenmerk auf die russische Musikszene, deren Vinyl-Produktionen sich als sehr erfolgreich entpuppten. »Wir sind der größte inländische Vinyl-Vertrieb und das einzige russische Label, das sich auf Vinyl-Veröffentlichungen spezialisiert hat. Schon im Frühjahr 2013 hatten wir ein Produktionsniveau von sieben bis zehn Interpreten pro Quartal erreicht« – und das, obwohl die Preise für Vinyl ziemlich hoch liegen. »Nach der Perestroika wurde alles entweder vernichtet oder ins Ausland verkauft. Keiner dachte, dass Vinyl seine Wiedergeburt feiern würde«, so Tichij weiter.

MIRUMIR muss seine Vinyl-Schallplatten bei GZ Digital Media in Tschechien produzieren lassen. »Dabei entstehen Extrakosten für den Transport, aber das Allerschlimmste sind die Zölle. Deswegen sind Vinyls in Russland sehr teuer. Doch wir sind ein Großhandel, so haben wir die niedrigsten Preise.« Der Abgabepreis beträgt durchschnittlich 690 Rubel, knapp 8,50 Euro, und in den Läden werden die Platten für etwa 12 bis 24 Euro verkauft. »Doch die Nachfrage ist hoch«, berichtet Tichij.

Es gibt Versuche, die Vinylindustrie auch in Russland wieder aufleben zu lassen, aber laut Tichij ist dort die Qualität bei Weitem noch nicht ausreichend und die Produktion teurer als in Tschechien. »Man braucht Spezialisten und vor allem Erfahrung – so wird es wohl noch länger dauern.« Obwohl der Labelmanager selbst »true vinyls« bevorzugt, offeriert sein Katalog auch sogenannte Diga- Log-Releases – zur Schallplatte kommt dann noch eine CD als Bonus hinzu. MIRUMIR beschäftigt sich, wenn nötig, auch mit Remastering und entwirft das Coverdesign. »Mainstream und Rockbands, die Airplay haben, bekommen die größeren Auflagen, die Menschen kaufen sie gern. Aber ich versuche auch die Underground-Musik voranzubringen.«

Alexandre Sladkevich

Der Beitrag erscheint in der Melodie und Rhythmus 3/2016, erhältlich ab dem 29. April 2016 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

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