Von Moskau nach Berlin, in den Wäldern, Sümpfen und Bergen Europas: »Tod der Faschistenmacht!« Lieder vom gerechten Krieg und vom Widerstand
Gerd Schumann
Der Naziangriff traf das rote Riesenland völlig unvorbereitet. 3,2 Millionen deutsche Soldaten überschritten am 22. Juni 1941 frühmorgens die Westgrenze der Sowjetunion. Zwei Tage danach druckte die Zeitung Iswestija (Nachrichten) das Gedicht »Der heilige Krieg« von Wassili Lebedew-Kumatsch. Alexander Alexandrow vertonte es umgehend. Am 26. Juni wurde es uraufgeführt – und zu einem musikalischen Monument des Trotzalledem. Das pathetische, mit einem strengen, vom ganzen Orchester getragenen Vierviertelstakkato unterlegte Werk würde die Rote Armee bis nach Berlin begleiten:
»Steh auf, steh auf, du Riesenland!
Heraus zur großen Schlacht!
Den Nazihorden Widerstand! Tod der Faschistenmacht!«
»Der heilige Krieg« war die gesungene, später von Ernst Busch – Übersetzung: Stephan Hermlin – auch auf Deutsch rezitierte Aufforderung zum kollektiven Aufstand. Es bestärkte die per se überlegene Moral derjenigen, die im Recht waren und denen eine historische Rolle aufgezwungen worden war: die Welt zu befreien von den »Würgern«, den »Peinigern und Plünderern«, den »Mördern der Ideen« – »die müssen untergehn«:
»Es breche über sie der Zorn
Wie finstre Flut herein
Das soll der Krieg des Volkes
Der Krieg der Menschheit sein.«
Lieder spiegeln immer die Zeit, in der sie entstehen. Sie sind Teil der Geschichte und handeln von ihr und den Lehren aus ihr. Das macht sie kostbar. »Der Heilige Krieg« ist Zorn pur: über diese zu verdammenden Aggressoren, die urplötzlich alles gefährden, was als sicher galt; Zorn aber auch über das eigene Unvermögen, die Blitzkrieger zu stoppen und zurückzuschlagen. Steh auf! Das Lied vermag es, diese Wut in Energie umzuwandeln.
»Schtiminja«
An der Front werden die Menschen hart, meinte der Schriftsteller Ilja Ehrenburg 1943 – »hart und doppelt empfindsam«. Der Soldat erwarte »eine lebendige menschliche Stimme«, die den Glauben an das Überleben und das Leben stützt. Die russische Lyrik ist berühmt für ihre Tiefe, Melancholie, Sehnsucht und Hoffnung selbst in dunkelster Nacht. Das Gedicht »Wart auf mich« von Konstantin Simonow erzählt davon wie kaum ein zweites. Vertont von Matwei Blanter sagt es denen zu Hause, »was am Leben mich erhält«.
»Wart auf mich, ich komm zurück!
Ja – zum Trotz dem Tod
Der mich hundert-, tausendfach
Tag und Nacht bedroht.
Für die Freiheit meines Lands
Rings umdröhnt, umblitzt.
Kämpfend fühl ich, wie im Kampf
Mich Dein Warten schützt.«
Nachdem Ernst Busch (1900–1980), der bedeutendste deutsche Sänger des vergangenen Jahrhunderts, Ende April 1945 von Rotarmisten aus dem Zuchthaus Brandenburg befreit worden war, traf er in Berlin zwei alte Bekannte. »Sie kamen mit ihrer Gitarre und einer Menge neuer sowjetischer Lieder. Ein Lied hat mich besonders tief berührt, ›Schtiminja‹ (Wart auf mich).« Später trägt der Arbeitersänger Busch in einer Brecht-Inszenierung der »Winterschlacht um Moskau« eine Mahnung für künftige Generationen vor:
»Rotarmisten!
Das war die Division
Die als erste Einzug halten sollte
In Moskau. Sie ist nicht mehr.
Für Feinde führt kein Weg nach Moskau.
Den Freunden aber öffnen wir das Herz!«
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