Melodie & Rhythmus

Kein Zufluchtsort für humanistisches Judentum

19.03.2019 14:06
Udi Aloni auf der Berlinale 2016  Foto: dpa / Michael Kappeler

Udi Aloni auf der Berlinale 2016
Foto: dpa / Michael Kappeler

Der israelische Filmregisseur Udi Aloni erhebt schwere Vorwürfe gegen Berlins Kultursenator Klaus Lederer

Ein von der taz zitiertes Schreiben mit der Forderung nach Streichung von deutschen Geldern u.a. für Kultureinrichtungen, von denen angeblich »Anti-Israel-Aktivitäten« ausgehen, sorgte Ende 2018 für Schlagzeilen. Nicht zuletzt weil es von der israelischen Regierung, zumindest aus regierungsnahen Kreisen, stammte (der genaue Absender konnte nicht ermittelt werden) und weil darin sogar das Jüdische Museum in Berlin und das Filmfestival Berlinale genannt wurden.

Künstler und Kulturschaffende in Israel, die von der Netanjahu-Regierung unerwünschte Meinungen vertreten, werden seit Jahren vor allem von der Kulturministerin Miri Regev – einer bekennenden Faschistin – mit Repressalien belegt. Der jetzige Versuch, auch hierzulande Sanktionen durchzusetzen, blieb nicht unwidersprochen. Nicht nur wurden die Vorwürfe aus Israel von den Beschuldigten als »absurd« zurückgewiesen, auch deutsche Politiker gaben im gewohnt diplomatischen Duktus zu verstehen, dass von ihnen eine Intervention in künstlerische Belange nicht zu erwarten sei.

Auffällig ist das Schweigen von Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke), einer der wichtigsten Stimmen – schließlich sind renommierte Institutionen der Hauptstadt betroffen. Auch eine Anfrage von M&R, ob es eine Positionierung des Kultursenators gebe, blieb unbeantwortet. Der Filmregisseur Udi Aloni, Panorama-Publikumspreisträger der Berlinale 2016 und namhafter israelischer Oppositioneller, findet Lederers Verhalten unerträglich und kann es nur als »Kollaboration mit dem Bündnis zwischen der israelischen Regierung und neuen rechten und antisemitischen Bewegungen in Europa« deuten. Lederer, der schon seit Jahren mit fragwürdigen Methoden gegen linke Kritiker der Netanjahu-Regierung vorgeht (s. S. 98f.), auch gegen israelische Juden, die aus politischen Gründen ihre Heimat verlassen haben, möge »dringend Rechenschaft darüber ablegen«, wie er »in Deutschland zum Feind Nummer eins« des freien intellektuellen Judentums geworden sei, erklärt Aloni in einer Stellungnahme gegenüber M&R. Gemeint sei die humanistische deutsch-jüdische Denktradition, wie sie etwa von dem Philosophen Martin Buber repräsentiert wurde, die in Israel »bewusst ausradiert worden ist und in Berlin einen Zufluchtsort benötigt«.

red

Der Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 2/2019, erhältlich ab dem 22. März 2019 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

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