Foto: Gabriele Senft
»Männer, Frauen und Maschinen«
Am 21. Februar wäre der 1998 verstorbene Arbeiter, Liedermacher und Poet Gerhard Gundermann 60 Jahre alt geworden
Roland Knauer
»Mein halbes Leben steh‘ ich an der Weltzeituhr / Und ich bin nicht mehr so jung / Und ich warte, und ich warte« – im Spätherbst 1988 erschallte »Lancelots Zwischenbilanz I«, und irgendetwas war anders! Ein Freund hatte mit Filzstift das Geschenkte hinten beschrieben: »Musst Du Dir anhören!« Gundermann? Ja, war regional mit der Brigade Feuerstein eine Institution – ein Lieder-Rock-Zirkus mit klarer Kante.
»Und die rote Nelke trag ich immer noch am Helm / Obwohl sie mir schon lange verdorrte.« Andere Protagonisten der Frühund Mittachtziger hatten sich zurückgezogen – da zeckte Gundermann mit diesem Album in die Agonie! »Und diese Zeitung halt‘ ich noch in der Hand / Obwohl ich sie schon nicht mehr lesen kann, ich starre in den Nebel / Wann kommt der Mann / Der mir sagt: Wir brauchen dich! / Jetzt bist du dran!« Der Eindruck nach dem ersten Hören war: Der Typ ist seiner Zeit voraus!
Gerhard Gundermanns Rhythmus bestand aus Schicht, Proben, Auftritten, seiner Familie und vier Stunden Schlaf. Alles in rasender Echtzeit und er immer aufsau- gend und speiend darin; hatte bereits sowohl einen Offiziersschulabbruch als auch eine IM-Zeit hinter sich, war SED-Mitglied inklusive Parteiausschlussverfahren und stritt, wo er konnte. Im Lausitzer Tagebau mussten alle mit ran: Kabel schleppen, Wasser abpumpen, Schienen legen, Instandsetzen, Fördern. Vom Ungelernten stieg er hoch bis in die Kabine des gigantischen Baggers in der Braunkohle und war Teil eines Rädersystems der Produzierenden mithilfe der Technik – eben »Männer, Frauen & Maschinen«.
Die DDR taumelte ihrem Ende entgegen, und nur die wenigsten Aufrechten waren sich noch sicher mit diesem Sozialismus. Gundermann gehörte dazu, zweifelsmit.
»Und ich weiß nicht, ob ich noch springen kann bis an eine Kehle […] ob ich noch singen kann bis in eine Seele.« Die »Lancelotschen Zwischenbilanzen I & II« bilden die konzeptionelle Klammer auf der Scheibe. Hier haben wir einerseits den Solitär, der alles versucht hat; der bereit ist, seine Ideale zu verteidigen und doch nicht beachtet wird (»Und ich weiß nicht, ob ich noch starten kann / Bis in die Welt / Ob ich noch warten kann / Bis die Welt mich zählt«). Ein Ritter mit Gundermanns Biografie. Dessen Helden sind andererseits die Stolperer, die Stillen, die Sortierer. Ebenso jene, die nicht zaudern und immer erst aus Prinzip nach dem Warum fragen.
Da sind »Halte durch« – eine zornige Abrechnung mit dem Raubbau an der Natur durch den Menschen; das Gagarin-Exupéry-Thema (»Wo soll ich landen?«); da stellt einer noch zwei Tassen auf den Tisch, so als ob seine verlorene Liebe nicht fort- gegangen wäre (»Kleine leise Traurigkeit«); Gundermann spricht mit seinem »Vater«; er singt warm von der kleinbürgerlichen Welt unter Laubenpiepern, verweigert den Unsinn in »Scheißspiel« und sagt uns, »Wie ein Freund« sein sollte.
Zentraler Song der Platte könnte »Mann aus Eisen« sein: »Hundert Meter unterm Gras / Wartet die Maschine, dass ich ihre Hebel fass‘. […] Mein Rücken ist ein Förderband […] bei Havarien blute ich«. Hier haben wir die präzise Beschreibung der Identifikation mit der Arbeit, und das nicht als bloße Selbstbegegnung. Da weiß jemand, dass er Werte schafft. Tagsüber in der Kohle ohne Brimborium, nachts mit der Musik – nicht andersherum. Und hier finden wir dann auch das Wesen der Scheibe: Lernen, Ansage, Streit, Widerspruch, Schöpfertum.
Gleichwohl: Gundermann bezecht mit romantischer Verklärung des Ehrlichen, beschwört das Gute und entbehrt nicht einer gewissen Militanz – aber er entwickelt eine authentische Logik der Dinge. Klar, einfach, bescheiden kommt das daher, und wir dürfen seine Gedankenwege betreten – die Lehre des Zusammenhanges zwischen Wort und Tat.
Gundermann hat sich später musikalisch immer weiterentwickelt. Seinen zentralen Themen indessen ist er treu geblieben: kleiner Generationenzwist und große Herzen; Gerechtigkeit im weitesten Sinne sowie der Mensch zwischen Liebe und Arbeit. Der letzte Eindruck nach dem zigsten Hören der »Zwischenbilanz II« allerdings ist ernüchternd: »Langsam überrolle ich den roten Strich / Niemand fragt und niemand schickt mich / Niemand hat mir Weg und Ziel genannt / Nur die Drachen hör’ ich lachen / Im Niemandsland.«
Heute leben wir im Niemandsland – insofern bleibt Gundermann der Zeit weiter voraus.
Den kompletten Artikel lesen Sie in der M&R 1/2015, erhältlich ab dem 5. Januar 2015 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.
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