Von Kastraten, Geschlechtertausch und dem Kampf gegen Rollenvorgaben!
Text: Lena Zade, Foto: Universal
Es ist eine der skandalumwittertsten Lebensgeschichten des Jazz, obwohl Dorothy Tipton sich redlich bemühte, Skandale zu vermeiden. Dabei war Dorothy alles andere als exzentrisch – sie wollte nur unbedingt Musikerin sein. Jazzmusikerin. Für diesen Traum verzichtete sie auf den Abschluss an einem Elitecollege und eine absehbare Karriere als Konzertpianistin, stattdessen wollte sie in Bars spielen und Menschen unterhalten. Nichts anderes. Doch in den frühen dreißiger Jahren war es in den Südstaaten der USA unvorstellbar, dass eine junge weiße Frau mit einer Band durch die Clubs tingelte. Also tat Dorothy das Naheliegendste. Sie verkleidete sich als Mann – woraufhin sie umgehend als Saxophonist engagiert wurde.
Was zunächst nur eine Verkleidung war, die das Augenmerk von der Person auf ihr Können lenkte, wurde mit den Jahren zur Identität. Aus Dorothy wurde Billy, aus dem Mädchen mit musikalischem Talent ein Entertainer und Familienvater. Fünfmal war Billy Tipton verheiratet. Seine Frauen ahnten nicht, dass er eine »sie« war. Er sei ein fürsorgender Vater seiner Adoptivsöhne und ein großartiger Liebhaber gewesen, berichteten seine Frauen. Er kümmerte sich um seine Familie, wie er für seine Bandkollegen sorgte. Ende der fünfziger Jahre bahnte sich der Durchbruch an. Erste Plattenaufnahmen brachten dem Billy Tipton Trio nicht nur einen lukrativen Vertrag mit einem Label, sondern auch ein festes Engagement in einem teuren Hotel ein. Die Presse wurde auf Billy Tipton aufmerksam. Die Zeichen standen auf Erfolg. Doch Tipton zog sich zurück. Er arbeitete fortan in einer Konzertagentur und starb schließlich 1989 verarmt in einem Trailerpark. Erst »sein« Tod offenbarte »ihr« biologisches Geschlecht.
Im Rampenlicht der großen Showbühnen wäre die Billy-Tipton-Maskerade wohl schon früher aufgeflogen. Fünfundfünfzig Jahre hat sich Dorothy Tipton ihre Brüste bandagiert und jegliche Arzttermine gemieden, um ungehindert das sein zu können, was sie wollte: Bandleader, Swingmusiker und Instrumentalist. Sie hat es nie bereut und darauf bestanden, diesen Lebensweg selbst gewählt zu haben: »Es war meine Entscheidung.«
Den kompletten Artikel lesen Sie in der Melodie&Rhythmus 6/2013, erhältlich ab dem 1. November 2013 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.