Melodie & Rhythmus

Väterchen, unser Sänger

07.11.2012 11:46

Daniel Kahn und Dota Kehr

Im Roten Salon der Berliner Volksbühne wurde der Live-Mitschnitt vom Konzert für Franz Josef Degenhardt vorgestellt
Text: Gloria Fernandez, Fotos: Christian Ditsch & Gabi Senft

Bald ein Jahr ist vergangen, seit die Freunde noch mal zusammenkamen, kurz nach – wie sie ihn nannten – »Väterchens« Tod. Das war im Dezember 2011 im Berliner Ensemble, der wunderbar-verstuckten Brecht-Bühne. Nun, im schon herbstlichen Oktober 2012, treffen sich einige von ihnen auf Einladung von M&R und »junge Welt« wieder, in der Volksbühne zu Berlin, Roter Salon. Eben dort, wo Erwin Piscator den Nazis vor 1933 künstlerisch Paroli geboten hatte – bis sie ihn ins US-Exil vertrieben wurde.

Also stehen sie da, diese Menschen mit ihren Gitarren, die früher »Liedermacher« genannt wurden, und die, Fahrensleuten aus alter Zeit gleich, echte Geschichten erzählen wollen, keinen Schmarrn. Spätestens in den Turbulenzen der Wende nach Westen, so 1989/90 ff., wurde Frontalabkehr von der Geschichte verlangt. Da schienen sie abserviert, diese Individualisten aus dem aufrechten Haufen. Manche schlugen sich irgendwie durch, andere schwiegen, richtig gefragt war ihre Meinung nicht mehr, zumal mancher mit dem Osten zu tun gehabt hatte. Nun war ebender zum Osten des Westens geworden – Neufünfland.

Was würde Franz Josef Degenhardt sagen? Er, der wohl wichtigste seiner Zunft im vergangenen Halbjahrhundert, ein Wessi, den sie auch in der DDR kannten, und das nicht wegen Westfernsehen, »Rias« und »Bravo« … Würde er sagen: Was wollt ihr zwei Jahrzehnte später im Roten Salon mit dessen Plüschbänken, Säulen, der Kleinbühne vorne, Tresen hinten, große Fenster nach draußen, Rosa- Luxemburg Platz? Was habt ihr heute mitzuteilen?

Tobias Thiele, der viel mit dem kubanischen Trobadero Gerardo Alfonso zu tun hat, bei ihm sozusagen in die Lehre ging, singt von den Träumen Che Guevaras. Tatsächlich, die sind noch da, 45 Jahre nachdem die CIA den Bärtigen mit der Baskenmütze in Bolivien erschießen ließ. Sein Mörder konnte dem gefangenen Guerillero nicht in die Augen blicken, betrank sich. Der Befehl war klar. Thiele, gereift an der Gitarre, mischte auch die Doppel-CD ab vom Konzert für Degenhardt. Die Produktion ist eine Dokumentation des Gestern und Heute mit einem Hauch von Morgen. Leider hat sich radioeins vom rbb noch nicht durchgerungen, es zu senden. Aber sie haben es mitgeschnitten und es bleibt zu hoffen, dass es nicht umsonst war. Wie damals, also Ende der Sechziger. Anfang der Siebziger, als einiges aufgenommen wurde, das dann in den Schubladen verstaubte. Natürlich kam Degenhardt nicht mehr ins TV. Nur als der Sänger starb, wurde er noch mal erwähnt in der »Tagesschau«. Nicht mehr als eine knappe Mitteilung, in der es hieß: Der hat von »Schmuddelkindern« gesungen. Na, was denn sonst?

Das ist Muss, und auch Prinz Chaos II. tut das, schwitzt sich einen ab, hält aber durch, singt von Ratzinger in Kreuzberg, ein lohnenswertes Thema, weil: Die katholische Staatskirche mit ihrer bunten Führungsfigur aus Bayern schmuddelt so vor sich her. Kondomverbot zu Aids-Zeiten. Gott bewahr! Prinz Chaos, der Paradiesvogel mit einem Schlösschen im Thüringischen, erzählt seine irren Storys mit hinterhältiger Ironie, derweil die »Kleingeldprinzessin« Dota Kehr, eine Frau mit Silberblick und einer ansteckenden Freundlichkeit, das voll »erschlossene Land«, in dem sie gelandet ist, allzu trefflich beschreibt. Singt von den Alten, die sich Revolutionäre nannten und am Ende ihres Marsches doch nur durch Institutionen marschierten, um im Büro zu sitzen: »Es ist, wie es ist/man wird Kapitalist. Du bist, woran Du Dich misst/Und steckst genau da, wo Du bist, den Kopf in den Sand, und dann ist alles, was Du siehst – erschlossenes Land.«

Über Jan Degenhardt, Anwalt wie sein Vater und eines der drei Degenhardt-Kinder, lässt sich zunächst sagen, dass er in Duktus und mit seinem feinen, passgenauen Hang zum französisch-sozialisierten Spott – Brassens! – an seinen Alten erinnert. Auf der CD präsentiert er sein bisher schönstes Lied, »Mantel aus Brokat«, nun singt er was von seinem Vater und dann von Boris Vian. A cappella, hin und her, neue Position, weg vom Mikro, ran, eindringlich. Der Deserteur, der in seinem Brief an »Monsieur le président« die ganze Abscheu der »pauvres gens« (arme Leute) vor dem Krieg messerscharf formuliert. Ja, das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen, zitierte der alte Degenhardt Christa Wolf. Soll er doch selbst ziehen, der Herr Präsident, in seinen Krieg.

Daniel Kahn, der jiddische US-Bürger aus Detroit, hat während seines Fluges über den Großen Teich Degenhardts »Große Schimpflitanei« auswendig gelernt, dieses zeithistorische Stück von den Pseudo- Argumenten gegen die Linke aus Kreisen der Linken – allesamt Zitate aus Briefen an den »sehr geehrten Linksanwalt«, der »Drecksau mit dem Ulbricht-Bart« Das Lachen bleibt im Hals stecken. Kahn, Harps, Akkordeon, Drehleier undsoweiter mit Kontrabassbegleitung, bringt die Leute zum Gruseln, zum Denken und zum befreienden Lachen.

Flockig vorgetragen, wie es eine aufgeräumte Barbara Thalheim mit ihren bitterbösen Geschichten aus dem DDR-Alltag tat. Sie vermag zu fesseln. In der DDR kannte sie jeder, die Liedermacherin, Fach »Chanson«, die sich nicht scheute, anzuecken und ihren Weg zu gehen, die aber blieb, weil sie bleiben wollte. Nun singt sie noch mal von ihrem kleinen flachen Land und manchem Irrsinn, Geschichten von Dummheit und Borniertheit.

»Die Maultrommel spieln wir nicht mehr«, sang Degenhardt im Westen. Dort zog angesichts der Berufsverbote und der Spitzelei das Misstrauen in die Köpfe, was nicht nur nervte. Es zermürbte auch. Und Frank Viehweg, der alte Haudegen, beschwört zum Schluss des Abends dann doch noch mal »unsere Sache« und den Wunsch, gemeinsam am Tisch unter Pflaumenbäumen zu sitzen und zu erzählen und zu feiern.

Wäre schön, wenn die neuen deutschen Singer-Songwriter zurückkehrten in die Alltagskultur – zusammen mit den Alten. Ja, und auch mit der Geschichte, die Degenhardt lebte.

Der Artikel erscheint in der Melodie&Rhythmus 6/2012, erhältlich ab dem 9. November 2012 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch hier bestellen.

Franz Josef Degenhardt Freunde feiern sein Werk
Degenhardt-CDMitwirkende: Max Prosa, Barbara Thalheim, Wiglaf Droste, Götz Widmann, Dota Kehr, Goetz Steeger, Kai Degenhardt, Frank Viehweg, Joana, Daniel Kahn, Konstantin Wecker, Prinz Chaos II., Jan Degenhardt, Hannes Wader, Gisela May
Universal/Polydor

Die in CD entstand in Zusammenarbeit mit Universal Music, sie ist für 19,90 Euro zzgl. Versandkosten im Melodie&Rhythmus-Shop erhältlich.

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