Melodie & Rhythmus

Die Schönheit des Sturms

26.09.2017 14:43

Editorial

Kritische Philosophen und Schriftsteller verfassen seit jeher regelrechte Hymnen auf die Revolution. Sie sei das Beste, was die Menschen hervorbringen können, war sich der russische Literaturkritiker Wissarion Belinski schon zu Zeiten Nikolaus I. sicher. Heute ist der Revolutionsbegriff weitgehend entleert oder ideologisch verformt. Kaum ein faschistischer Putsch, der nicht als »Revolution« verklärt wird. Andere üble Verzerrungen finden sich in der Werbung: Von der Diätpille bis zum WC-Reiniger – kaum ein Produkt, das nicht als eine mit den gesellschaftlichen Umwälzungen von 1789 in Frankreich oder 1959 in Kuba vergleichbare Errungenschaft der Menschheit angepriesen wird.

Das 100-jährige Jubiläum des für Sozialisten und Kommunisten bisher wichtigsten welthistorischen Ereignisses ist der beste Zeitpunkt, um die Koordinaten (wieder) zurechtzurücken und sich zu vergegenwärtigen, dass Revolutionen immer grundlegende Veränderungen der Eigentumsverhältnisse und Produktionsweise bedeuten – und der Kampf dafür nur zwischen Klassen möglich ist, wie Konrad Heiden, der erste antifaschistische Hitler-Biograf, betonte. Wir werden ihn in diesem Heft ausführlich würdigen. Als Zeitschrift für Gegenkultur interessiert uns natürlich besonders die kreative Eruption, die der Bolschewismus 1917 auslöste: »Wie viele Talente hat unsere Zeit hervorgelockt, wieviel Schönheit hat der Sturm der Revolution zum Leben erweckt!«, bemerkte Maxim Gorki euphorisch. Entsprechend wollen wir u. a. an den Proletkult und zwei »Tonmeister« des Roten Oktober erinnern – ohne den vorläufigen Sieg der Konterrevolution in der Gegenwart auszublenden.

Natürlich wird durch Revolutionen auch immer die Schaffenskraft derjenigen beflügelt, die an den vordersten Linien kämpfen. Der als größter Revolutionär des 20. Jahrhunderts in die Geschichte eingegangene Che Guevara, der vor 50 Jahren ermordet wurde, machte sich mit dem Bewusstsein »Die Revolution reinigt die Menschen« an den Aufbau eines neuen sozialistischen Kuba. M&R zeigt ihn in dieser Ausgabe einmal nicht nur als heroischen, sondern als bescheidenen, lernenden und lehrenden Menschen: In unserer Fotoreportage »Che lebt!« präsentieren wir bisher unveröffentlichte Bilder, die der Schweizer Journalist René Lechleiter zusammen mit Kollegen im Archiv der Zeitung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas gesichtet und in einem noch druckfrischen Buch des Verlags 8. Mai an das Licht der Welt gebracht hat. Einige Fotos, die nicht im Buch enthalten sind, werden in diesem Heft sogar exklusiv zu sehen sein.

Ach, wie unbedeutend ist vor so einem bewegenden Hintergrund das Ereignis, das unsere Redaktion freilich auch mit ein wenig Stolz erfüllt: M&R wird im November 60 Jahre alt. Fürs »Ständchen« haben sich geschätzte Weggefährten, Musiker wie Henry Kotowski, Angelika Mann und Jäcki Reznicek, versammelt. Egal wie schräg Ihre Töne, ob mit Sekt oder Selters: Liebe Leser, machen Sie uns die Freude und feiern Sie mit – in diesen schweren Zeiten weiß man ja nie, ob es noch ein Morgen geben wird …

Susann Witt-Stahl
Chefredakteurin M&R

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