»Quo vadis, Kuba?« Seit seiner im Zuge der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zu den USA voranschreitenden »Öffnung« ist das eine dringliche Frage. Die einen stellen sie, weil sie um die Zukunft des sozialistischen Landes bangen, andere, weil sie es gar nicht abwarten können, ebendiese Zukunft zu vereiteln. Marktradikale mit neokolonialen Begehrlichkeiten suchen ihre Möglichkeiten und zeichnen ein kulturindustriell verformtes, nicht selten von rassistischen Klischees durchwirktes Bild des Inselstaates in der Karibik: Kuba als Palmen- und Rum-Paradies mit exotischen Schönheiten, seine reiche Kultur auf »Buena Vista Social Club« reduziert.
Gegen die drohende Ausplünderung Kubas und seiner Menschen wollen wir ein politisches Zeichen setzen und für ein Prinzip mobilisieren, dem sich der Verlag 8. Mai seit seiner Gründung verpflichtet fühlt: Solidarität. Im Februar reiste eine Delegation von M&R und der Tageszeitung junge Welt (jW) nach Kuba. »Es verändert sich etwas im Land, und die Kubaner merken das. Sie trauen ihrer Regierung zu, die weitere Entwicklung zu meistern«, lautete eine Beobachtung unserer Kollegen. »Vor allem aber scheint sich in der Bevölkerung das Bewusstsein zu verstärken, dass für die Aktualisierung des Sozialismus nicht nur die Regierung zuständig sein kann: Selber tun gilt als Handlungsmaxime auch in Kuba.« Und auch für M&R, wenn es darum geht, unseren Lesern exklusive Informationen, neue Eindrücke und in der westlichen Welt oftmals überhörte Stimmen aus Kubas vielfältiger Kultur zu vermitteln: von politischen Musikern, die eine ungeheure Dignität ausstrahlen, nicht zuletzt weil sie sich nicht dem Diktat von Verkaufszahlen und Chart-Platzierungen beugen. »Es geht um Liebe zu den Menschen und der Menschen untereinander«, so erklärte uns Gerardo Alfonso, einer der renommiertesten Vertreter der Nueva Trova Cubana, in einem Interview, worauf es wirklich ankommt (s. S. 38).
Delegationsmitglied, M&R- und jW-Autor Gerd Schumann hat das Titelthema für diese Sonderausgabe – mit 32 Seiten extra! – organisiert, konzipiert und produziert. Dank der vielfältigen Unterstützung des Teams in Havanna, Déborah Azcuy, Petra Wegener und Tobias Thiele, und in Kooperation mit internationalen und deutschen Autoren ist es ihm gelungen, ein einzigartiges Kompendium zu Geschichte und Gegenwart sowie den bedeutendsten Akteuren des bewegten Musiklebens Kubas zusammenzustellen. Dabei hat er auch die aktuellen politischen Kontroversen, die Sehnsüchte und Sorgen der Kunst- und Kulturschaffenden nicht ausgelassen.
Und noch mehr: Diesem Heft liegt eine CD mit 17 Titeln des Who’s Who der authentischen Musikwelt Kubas bei – darunter Vicente Feliú, Javier Zalba Suárez, Joaquín Betancourt, Yusa. Ein weiteres M&R-Highlight 2016: eine Tournee von Gerardo Alfonso. Die Premiere der Konzertreise durch zehn deutsche Städte, die von jW mitorganisiert und von der Kuba-Solidaritätsbewegung unterstützt wird, findet am 2. Juli auf dem UZ-Pressefest statt (s. S. 7).
Das alles wirft M&R pünktlich zum 90. Geburtstag des Vaters der Kubanischen Revolution in die Waagschale: Feliz cumpleaños, Fidel Castro!
»Quo vadis Kuba«? Die Antwort kennen wir nicht, liebe Leser. Wir wissen aber, wo es musikalisch langgeht, und wir sind uns sicher, dass Kuba eine hoffnungsvolle Zukunft haben kann, wenn alle fortschrittlichen Kräfte gemeinsam dafür kämpfen. Vamos compañeros! Viva Cuba!
Susann Witt-Stahl
Chefredakteurin M&R
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