Melodie & Rhythmus

Tania la música

28.06.2016 14:59
Foto: Dietmar Koschmieder

Foto: Dietmar Koschmieder

Che Guevaras Mitkämpferin Tamara Bunke und ihre Musikkassetten. Eine Annäherung

Tobias Thiele

Bolivien, 31. August 1967, Vado del Yeso: Eine junge Frau, keine 30 Jahre alt, gerät bei der Durchquerung des Río Grande in einen Hinterhalt und wird erschossen. Sieben Tage später wird ihr Leichnam am Ufer angespült. Es handelt sich um Haydée Tamara Bunke, eine Deutsch-Argentinierin. Sie gehörte der Guerilla von Ernesto »Che« Guevara an. In Kuba wird sie bis heute verehrt, hierzulande totgeschwiegen: Hunderte von Schulen und Kindergärten, die in der DDR nach ihr benannt worden waren, existieren mittlerweile nicht mehr oder tragen einen anderen Namen. Und also verschwindet »Tania la guerrillera« aus dem kollektiven Gedächtnis.

Sie war eine begeisterte Musikerin. Aufgewachsen in Argentinien, wo ihre antifaschistischen Eltern zwei Jahre vor ihrer Geburt vor den Nazis Zuflucht gesucht hatten, lernte sie Klavierspielen, auch Akkordeon und Gitarre, wurde mit der Musik des Landes sozialisiert. Als sie im Alter von 14 Jahren mit ihren Eltern nach Eisenhüttenstadt (damals Stalinstadt) zog, begleitete sie die lateinamerikanische Folklore. Fast scheint es, als sei das für sie die Verbindung zu ihrer Heimat gewesen – meinte später ihre 2003 verstorbene Mutter Nadja Bunke.

1961 reiste ihre Tochter nach Kuba. Zu dieser Zeit entstand die deutsche Übersetzung des »Marsches des 26. Juli«, der so etwas wie die zweite Nationalhymne Kubas ist. Just mit diesem Stück wurde US-Präsident Barack Obama jüngst in Havanna empfan- gen. Die letzten Zeilen der Übersetzung lauten: »Wir, entschlossen, unser Leben für diese Sache hinzugeben / Es lebe die Revolution!«

Die Fotos vom argentinischen Volksfest in Havanna 1962 zeigen eine offensichtlich entschlossene, optimistisch wirkende, meist lächelnde junge Frau. Sie sang damals von Kampf und Widerstand, aber auch sozialistische Aufbaulieder und traditionelle lateinamerikanische Folklore – niemand ahnte, dass in nicht allzu ferner Zukunft auch sie besungen werden würde. Heute gehört, scheinen jene Songs trotz aller Empathie, mit der die Cantautores Tania huldigen, fast so etwas wie Abgesänge auf die Revolution und die Befreiungskämpfe des Südens zu sein: Kongo, Bolivien, Chile …

Das vielleicht berühmteste Tania-Lied stammt von dem venezolanischen Musiker Alí Primera. Es spielt eine wichtige Rolle in dem empfehlenswerten Dokumentarfilm »Zeit der roten Nelken« von Heidi Specogna (2004): Tamaras Mutter Nadja Bunke legt die Vinylscheibe mit Primeras Song auf den Plattenteller – und wirkt mit einem Mal der Gegenwart entrückt. Primera singt markig: »Sie spielte das Akkordeon / Und in ihrem Herzen sang / Die Liebe zur Revolution.«

Der chilenische Liedermacher Patricio Manns schrieb das Lied »Tamara Bunke«, in dem es heißt: »Und ich reite aufs Neue in die Wälder / Mit der Waffe in der Hand.« Das »Lied für Tania« vom DDR-Singer-Songwriter Kurt Demmler dagegen vergleicht den bewaffneten Kampf mit den Bedingungen in seinem Land getreu dem Slogan »Dein Arbeitsplatz, Kampfplatz für den Frieden«: »Vielleicht sagte ihr zum Abschied die Partei / Dass auch bei uns noch viel zu machen sei / Und das wär grad so revolutionär / Wie Partisanenkampf mit dem Gewehr.« Womit ganz prima schwärmerische Revolutionsromantik mit der Nüchternheit des Arbeitslebens gekontert wurde.

Nach Bolivien reiste Tamara 1964. Ausgebildet in Konspiration, getarnt als Musikethnologin, sollte sie den Aufenthalt Ches vorbereiten. Ihr Auftrag lautete, sich in die Oberschicht einzuschleusen, Kontakte zu knüpfen, die Bedingungen für den Guerillakampf auszuloten. Das versuchte sie – doch Guevaras Plan, die Landbevölkerung für die Revolution zu gewinnen, scheiterte. Und mit ihm Tania: Im Rucksack der Toten fand man neben Kleidungsstücken, Notizbüchern und einem durchschossenen Teller aus Aluminium eine Sammlung von lateinamerikanischen Musikstücken. Zambas aus dem Norden Argentiniens, Kassetten mit Liedern aus Bolivien.

Den Artikel lesen Sie in der Melodie und Rhythmus 4/2016, erhältlich ab dem 1. Juli 2016 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

Ähnliche Artikel:

Anzeigen



TOP 10: April 2024

Liederbestenliste

Ältere M&R-Newsletter

Aus dem M&R-Archiv

Auf Ostfrontlinie gebracht
Nationalistische Parolen, Geschichtsklitterung, Hassexzesse, sogar Begeisterung für den totalen Krieg – einer wachsenden Zahl von Künstlern und Intellektuellen ist offenbar jedes Mittel recht, um sich der neuen Volksgemeinschaft gegen Russland anzudienen. weiterlesen

Melden Sie sich für unseren Newsletter an

Rudolstadtfestival 2023: Viva Cuba

Fotos von Katja Koschmieder und Jens Schulze weiterlesen

In eigener Sache

Stellenausschreibung
Die Verlag 8. Mai GmbH sucht eine Kulturredakteurin (m/w/d) für die Melodie & Rhythmus

*****************

Wenn die Kraft fehlt
Weshalb der Verlag 8. Mai das Kulturmagazin Melodie & Rhythmus einstellt

Leider müssen wir heute eine schmerzliche Niederlage eingestehen: Das Magazin für Gegenkultur Melodie & Rhythmus (M&R) kann nicht weiter erscheinen. Das hat verschiedene Gründe, sie sind aber vor allem in unserer Schwäche und in der der Linken insgesamt zu sehen. weiterlesen

*****************

»Man hat sich im ›Grand Hotel Abgrund‹ eingerichtet«
Zum Niedergang des linken Kulturjournalismus – und was jetzt zu tun ist. Ein Gespräch mit Susann Witt-Stahl

Ausgerechnet vor einem heißen Herbst mit Antikriegs- und Sozialprotesten wird M&R auf Eis gelegt – ist das nicht ein besonders schlechter Zeitpunkt?
Ja, natürlich. … weiterlesen

logo-373x100

Facebookhttps://www.facebook.com/melodieundrhythmus20Twitter20rss

Jetzt abonnieren

flashback