Melodie & Rhythmus

The Great Folklore SWINDLE

26.06.2010 06:44

Weltmusikalische Gedanken über das Leben nach Rock‘n‘Roll
Text: Mark Terkessidis

Folklore hab ich lange gehasst. Und zwar selbst in ihrer raffinierten Form, sozusagen getarnt als US-amerikanischer »Folk«. Das hatte seine Gründe. Als westdeutscher Jugendlicher in den frühen 1980er Jahren war ich umgeben von einem Volk von Langhaarigen in wallenden Gewändern, das während seiner endlosen Teerituale alle Formen von blödem Geklampfe und rührseliger Mitsingerei goutierte. Im Grunde handelte es sich um die Widergänger der Leute, die Bob Dylan 1965 in Newport von der Bühne buhten, als er es wagte, seine Songs elektrisch zu verstärken. Das damalige Öko-Volk liebte die Natur, was bedeutete, das neben den Gesängen der Buckelwale auch »ethnische« Musik hoch im Kurs war. Vom Klang der Bouzouki bis zum Klappern der Kastagnetten – die europäische Folklore schien irgendwie links und unkommerziell zu sein, also ein prima Antidot zur angeblich alles vernichtenden Macht des dunklen Imperiums, sprich: USA. Diese Haltung fand ich unerträglich – und zwar in zweifacher Hinsicht. Zum einen hatten die »Ökos« erstaunlich wenig Bewusstsein darüber, dass ihr Natürlichkeitskulteinige Ähnlichkeit mit der traditionell deutschen Ideologie des Volkstums aufwies, in der neben den Juden stets auch die US-Amerikaner als zersetzende Kraft wider das gute Volk firmierten. Zum anderen war ich väterlicherseits griechischer Herkunft und wurde mit schöner Regelmäßigkeit ins folkloristische Naturburschenklischee gepackt – man sah in mir eine Art Alexis Zorbas im Juniorformat. Die allgegenwärtige Begeisterung für Griechenland zerrte gewaltig an meinen Nerven. Denn wiederum bemerkten die »Ökos« nicht, dass sie ihr alternatives Begehren nach dem Abklatsch des Griechischen längst mit dem überwiegenden Teil der Pauschaltouristen teilten.

Das komplette Essay lesen Sie in der melodie&rhythmus 3/2010, erhältlich ab dem 6. Juli am Kiosk oder im Abonnement.

Der Publizist und Migrationsforscher Mark Terkessidis ist promovierter Pädagoge, Mitherausgeber des Buchs »Mainstream der Minderheiten« (1996) und Mitbegründer des »Institute for Studies in Visual Culture« in Köln.

Anzeigen



TOP 10: April 2024

Liederbestenliste

Ältere M&R-Newsletter

Aus dem M&R-Archiv

Auf Ostfrontlinie gebracht
Nationalistische Parolen, Geschichtsklitterung, Hassexzesse, sogar Begeisterung für den totalen Krieg – einer wachsenden Zahl von Künstlern und Intellektuellen ist offenbar jedes Mittel recht, um sich der neuen Volksgemeinschaft gegen Russland anzudienen. weiterlesen

Melden Sie sich für unseren Newsletter an

Rudolstadtfestival 2023: Viva Cuba

Fotos von Katja Koschmieder und Jens Schulze weiterlesen

In eigener Sache

Stellenausschreibung
Die Verlag 8. Mai GmbH sucht eine Kulturredakteurin (m/w/d) für die Melodie & Rhythmus

*****************

Wenn die Kraft fehlt
Weshalb der Verlag 8. Mai das Kulturmagazin Melodie & Rhythmus einstellt

Leider müssen wir heute eine schmerzliche Niederlage eingestehen: Das Magazin für Gegenkultur Melodie & Rhythmus (M&R) kann nicht weiter erscheinen. Das hat verschiedene Gründe, sie sind aber vor allem in unserer Schwäche und in der der Linken insgesamt zu sehen. weiterlesen

*****************

»Man hat sich im ›Grand Hotel Abgrund‹ eingerichtet«
Zum Niedergang des linken Kulturjournalismus – und was jetzt zu tun ist. Ein Gespräch mit Susann Witt-Stahl

Ausgerechnet vor einem heißen Herbst mit Antikriegs- und Sozialprotesten wird M&R auf Eis gelegt – ist das nicht ein besonders schlechter Zeitpunkt?
Ja, natürlich. … weiterlesen

logo-373x100

Facebookhttps://www.facebook.com/melodieundrhythmus20Twitter20rss

Jetzt abonnieren

flashback