Melodie & Rhythmus

»Sie haben Name, Anschrift und Gesicht«

23.06.2020 14:02
Generalprobe von »Die Ermittlung«, Freie Volksbühne, 1965 Foto: DPA / Konrad Giehr

Generalprobe von »Die Ermittlung«, Freie Volksbühne, 1965
Foto: DPA / Konrad Giehr

Kapitalisten scheuen das Bühnenscheinwerferlicht – besonders wenn es ihre finstere NS-Vergangenheit beleuchtet

Susann Witt-Stahl

Ein Aufschrei hallte im Finanzkrisenjahr 2008 durch die bürgerlichen Feuilletons der Republik. Die Zeit fürchtete sogar einen »Umsturz auf Probe« – vor allem, dass ein Albtraum wahr werde und zur Abwechslung auch wieder Lohnabhängige und einige aus dem verschwindend kleinen Häuflein marxistischer Künstler wieder das aufnehmen könnten, was Bank- und Konzernmanager unentwegt und immer brutaler von oben führen: den Klassenkampf. Der Grund der Hysterie war der Epilog einer Inszenierung des Stücks »Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?« von Volker Lösch nach Peter Weiss’ Drama »Marat/Sade« am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Darin verlas ein Hartz-IV-Chor eine im Manager Magazin Spezial 2008 veröffentlichte Liste von Namen der 28 reichsten Hamburger – darunter Werner Otto und Jan Philipp Reemtsma – mit Firmenanschrift und Vermögenssumme. Vier Namen mussten anonymisiert werden, denn ihre Träger hatten mit einer einstweiligen Verfügung gedroht.

Obwohl es in dem Stück nur um eine von der Sozialdemokratie vor ihrer vollständigen Neoliberalisierung erhobene Forderung ging – die Erhebung von Vermögenssteuer – und die Theatermacher schon präventiv in einer Presseerklärung ihr harmloses Anliegen dargelegt hatten (es solle lediglich der »derzeitige Zustand unserer Gesellschaft beleuchtet« und keine »individuellen moralischen Verurteilungen oder Gewalt provoziert« werden, hieß es darin), wurden sie von den Qualitätsmedien der Behandlung von Menschen nach einem »denunziatorischen Schwarz-Weiß-Schema« (SZ) angeklagt. Rückendeckung bekamen die Milliardäre auch, wie gewohnt, aus der Politik: »Einzelpersonen an den Pranger zu stellen, ist in meinen Augen eine billige, populistische Form, Kritik auszudrücken. …

Der komplette Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 2/2020, erhältlich ab dem 26. Juni 2020 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

Ähnliche Artikel:

Anzeigen



TOP 10: April 2024

Liederbestenliste

Ältere M&R-Newsletter

Aus dem M&R-Archiv

Auf Ostfrontlinie gebracht
Nationalistische Parolen, Geschichtsklitterung, Hassexzesse, sogar Begeisterung für den totalen Krieg – einer wachsenden Zahl von Künstlern und Intellektuellen ist offenbar jedes Mittel recht, um sich der neuen Volksgemeinschaft gegen Russland anzudienen. weiterlesen

Melden Sie sich für unseren Newsletter an

Rudolstadtfestival 2023: Viva Cuba

Fotos von Katja Koschmieder und Jens Schulze weiterlesen

In eigener Sache

Stellenausschreibung
Die Verlag 8. Mai GmbH sucht eine Kulturredakteurin (m/w/d) für die Melodie & Rhythmus

*****************

Wenn die Kraft fehlt
Weshalb der Verlag 8. Mai das Kulturmagazin Melodie & Rhythmus einstellt

Leider müssen wir heute eine schmerzliche Niederlage eingestehen: Das Magazin für Gegenkultur Melodie & Rhythmus (M&R) kann nicht weiter erscheinen. Das hat verschiedene Gründe, sie sind aber vor allem in unserer Schwäche und in der der Linken insgesamt zu sehen. weiterlesen

*****************

»Man hat sich im ›Grand Hotel Abgrund‹ eingerichtet«
Zum Niedergang des linken Kulturjournalismus – und was jetzt zu tun ist. Ein Gespräch mit Susann Witt-Stahl

Ausgerechnet vor einem heißen Herbst mit Antikriegs- und Sozialprotesten wird M&R auf Eis gelegt – ist das nicht ein besonders schlechter Zeitpunkt?
Ja, natürlich. … weiterlesen

logo-373x100

Facebookhttps://www.facebook.com/melodieundrhythmus20Twitter20rss

Jetzt abonnieren

flashback