Zur Darstellung der Elitenproduktion in Fernsehserien
Holger Römers
»Hier sitzen die Führungskräfte von morgen«, sagt in der ersten Episode von »Élite« ein Lehrer salbungsvoll zu seinen Schülern. »Genau das fürchte ich«, entgegnet Samuel, der an diesem Tag neu in die Klasse gekommen ist. Mit ihm sind auch Nadia und Christian auf eine exklusive Privatschule gewechselt, deren Gebühren durch ein Stipendium bestritten werden. Das Förderprogramm dient freilich der Imagepflege eines Bauunternehmers, dessen kriminelles Geschäftsgebaren den Einsturz jener Schule verursacht hat, die das Trio, das aus einfachen Elternhäusern stammt, zuvor besucht hatte. Bei dem Vorfall ist Christian verletzt worden. Aber das hindert den kecken Draufgänger nicht daran, unter den Mitschülern, zu denen auch die Kinder des Bauunternehmers gehören, sogleich Kontakte knüpfen zu wollen, die ihm die Aussicht auf künftige Teilhabe an deren Luxus eröffnen. Die strebsame Nadia setzt sich wiederum das Ziel, einen schulinternen Wettbewerb zu gewinnen, der ihr mittels eines weiteren Stipendiums den Besuch einer US-Eliteuni ermöglichen würde.
So spiegelt die spanische Netflix-Produktion vordergründig zwei gewohnte Perspektiven auf die Klassengesellschaft. Als liberales Ideal ist eine hypothetische Elitenoffenheit impliziert, die auch dem Kind eines Gemüsehändlers, das noch dazu wie Nadia als Muslima mit Migrationshintergrund mehrfacher Diskriminierung ausgesetzt ist, Aufstiegschancen böte. Der sympathische Dummkopf Christian verkörpert hingegen den egoistischen Wunschtraum, von den Mauscheleien der Reichen schamlos selbst zu profitieren.
Der komplette Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 2/2020, erhältlich ab dem 26. Juni 2020 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.