Melodie & Rhythmus

Generation 9/11 – zwischen Pop und Jihad?

26.04.2016 15:06
Deso Dogg Foto: Filmstill Deso Dogg »Willkommen in meiner Welt«

Deso Dogg
Foto: Filmstill Deso Dogg »Willkommen in meiner Welt«

Wenige radikalisieren sich, die meisten wollen einfach ganz normal leben – Normalität aber rückt für Muslime in Europa nach den Anschlägen von Paris und Brüssel in weite Ferne

Feature: Matthias Rude

Im Internet verbreiten sich die Schlagzeilen rasend schnell: »Todesurteil wegen Liebe zu Popsongs« oder »ISIS köpft Teenie, weil er Popmusik hörte«. Die Nachricht: »Mossul, Irak: Der ›Islamische Staat‹ hat einen 15-jährigen Iraker geköpft, weil er im Laden seines Vaters mit einem CD-Player Popmusik hörte.« Nach einem kurzen Scharia-Prozess sei Ayham Hussein auf einem öffentlichen Platz im Stadtzentrum hingerichtet worden.

Hysterie

Das war im Februar dieses Jahres. Seit Juni 2014 haben IS-Milizen die zweitgrößte irakische Stadt unter Kontrolle. In den sozialen Netzwerken rief die Enthauptung »Islamkritiker« aller Couleur auf den Plan: »Hat aber alles gar nix mit der Weltfriedensreligion Islam zu tun« – dieser sarkastische Kommentar einer Facebook-Nutzerin war noch einer der harmlosesten. Hat das Verbot von Musik etwas mit »dem Islam« zu tun? Wir fragen Erdal Toprakyaran, Professor für Islamische Geschichte und Gegenwartskultur in Tübingen.

»Bereist man vom Islam geprägte Länder, fällt einem die ungemein reiche Musikkultur auf, die diese hervorgebracht haben. Es ist nur eine ganz kleine Minderheit, die meint, dass Musik Sünde sei. Solche Puristen können sich aber nicht auf den Koran berufen – dort wird über Musik nichts gesagt. Sie zitieren stattdessen einige Sätze aus den Hadithen, die der Prophet gesagt haben soll. Im Islam gilt der Koran als verbindlich. Was andere Überlieferungen angeht, herrscht Uneinigkeit – schließlich sind Millionen von Sprüchen überliefert, darunter auch viele, die sich widersprechen. Die großen Schulen waren daher in dieser Frage immer moderat. Besonders die Höfe pflegten eine reichhaltige Musikkultur. Die muslimischen Mystiker, Sufis oder Derwische genannt, bezeichnen Musik gar als ›Nahrung der Seele‹. Erst im 18. Jahrhundert entstand mit dem Wahhabismus jene ultrakonservative Strömung, auf die heutige Salafisten sich in der Regel beziehen. Sie will den Gebrauch von Musik auf Männergesang und Trommeln beschränken, Tanz ist ganz verboten.«

Eine ganz kleine Minderheit also. Doch im Zuge des auch medial geführten »War on Terror« hat die Angst vorm fundamentalistischen Islam Hochkonjunktur. »Für viele Muslime ist Deutschland inzwischen Heimat, sie sehen sich aber mit einem Negativ- Image konfrontiert, das anscheinend durch eine Minderheit von radikalen Islamisten geprägt wird«, sagte Yasemin El-Menouar von der Bertelsmann-Stiftung 2015 anlässlich der Veröffentlichung einer Studie zum Thema und warnte vor der Gefahr einer »breit durch die Bevölkerung gehenden Islamfeindlichkeit«. Im Zuge der »Flüchtlingskrise« wuchs die Hysterie – und wurde weiter geschürt: »Millionen Muslime kommen derzeit nach Deutschland und Europa«, titelte etwa die Hamburger Morgenpost. Eine neue Gallup-Umfrage habe gezeigt, dass 86 Prozent der Deutschen »sich von radikalen Muslimen bedroht« fühlten.

Den kompletten Artikel lesen Sie in der Melodie und Rhythmus 3/2016, erhältlich ab dem 29. April 2016 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

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