Foto: Kevin Klein
Marco Barotti ist Musiker, Performance-Artist, Schauspieler – und Erfinder
Christoph Schrag
Es sieht aus wie ein riesiger, durchsichtiger Kürbis. Ein rundes Plastik-Etwas mit Nebelschwaden darin, über das Projektionen abstrakter Bildmotive huschen. Hinter diesem aufblasbaren Gebilde aus dickem Kunststoff tänzelt ein Typ mit Sonnenbrille und wilder Frisur und trommelt auf den Kürbis ein. Laute Beats, Soundflächen und Piano- Akkorde schickt er über die Lautsprecher in die Menge, die teils schon tanzt und teils noch wie gebannt auf das Spektakel starrt. Live-Electronica, gespielt auf einem Instrument, das einzigartig ist in der Welt, von einem Schlagzeuger, der nicht nur Schlagzeuger ist.
Marco Barotti hat die Pneumatic Drums, wie er sie nennt, gemeinsam mit einem Team von Technikern und Künstlern in Berlin entwickelt. In seiner Solo-Show kulminiert das gesamte Spektrum der Künste, die der im toskanischen Siena ausgebildete Jazz-Drummer inzwischen beherrscht: Musiker, Performance-Artist, Erfinder und auch Schauspieler. Das aktuellste Zeugnis seiner vielseitigen Umtriebe ist die EP »Transition«, die das Idealbild seines neuen Sounds formuliert, den er dann mit den Pneumatic Drums für Bühne und Club anpasst.
Transition, ein Übergang also. Das dürfte eine Untertreibung sein. Was Marco Barotti durchgemacht hat, seit er Mitte des letzten Jahrzehnts im Berliner Underground landete, ist eher eine komplette Verwandlung. Was er mitbrachte, war diese geballte Ladung an Kreativität, Bohème-Subkultur und Aufbruchstimmung, die viele andere in Berlin erst zu finden hoffen. Als gefragter Schlagzeuger spielte er zunächst bei Bands wie Paula oder Nachlader, entwickelte gleich aber auch seine eigene Kunstfigur: den italienischsten aller Italiener, der mit Reibeisenstimme unter Volleinsatz des denkbar breitesten Akzents zu einem Update von Italo-Disco sang. Barotti lebte seine Figur, war Garant für Party-Exzesse, egal ob auf, vor, hinter oder abseits der Bühne. In dieser Version seiner selbst ist er als Hauptrolle in Klaus Lemkes letzter Guerillaproduktion, der Hauptstadthuldigung »Berlin für Helden«, verewigt.
So einer läuft automatisch früher oder später allen über den Weg, die er treffen muss. Die Spezialisten für temporäre Architektur, Plastique Fantastique, bauten ihm eine aufblasbare Gangway, die sich etwa bei einem Auftritt auf dem Fusion Festival 2011 von der Bühne über die tanzende Menge legte und ihn einmal fast erstickt hätte. Mit der Street- Art-Truppe Asphaltpiloten, die urbane Räume mit Klebetape und Tanz in Kunst verwandelt, tourte er um die Welt und sackte Preise ein. Barotti entwickelte Klanginstallationen, komponierte Musik für Performances und experimentierte sich so zu seiner neuen Inkarnation, der Vereinigung aus Musik, Performance Art und bildender Kunst.
Seine Musik ist heute elektronisch und hypnotisch. Die Performance kreuzt Bühnenshow mit Installation, und selbst das Instrument ist bei ihm jetzt Kunstwerk – eben diese Pneumatic Drums. Der Mann, der sie bedient, mag auf den ersten Blick einfach wie ein freakiger Schlagzeuger wirken. Doch wer seine EP hört und ihm durch seine vielen Ausdrucksformen folgt, erkennt: Marco Barotti ist viel mehr als das. Er ist die personifizierte Transition. Mindestens.
Marco Barotti Transition
Leonizer Records
www.marcobarotti.com
Den kompletten Artikel lesen Sie in der M&R 3/2014, erhältlich ab dem 25. April 2014 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.