ERICH FRIED ZUM 100. GEBURTSTAG
Gespräch mit Moshe Zuckermann über die Wirkmacht der Kritik und die ideologische Enteignung des marxistischen Intellektuellen in der spätkapitalistischen Gesellschaft
Erich Fried gehörte in der Bonner Republik bis zu seinem Tod 1988 zu den renommiertesten wie umstrittensten Schriftstellern und Intellektuellen. Moshe Zuckermann und Susann Witt-Stahl fragen nach der Bedeutung seiner ideologiekritischen Dichtung und seiner politischen Interventionen heute: in einer postmodern zugerichteten Welt, in der die Wahrheit suspendiert und der Intellektuelle in den kapitalistischen wie nationalen Konsens integriert wird. Das Gespräch enthält Auszüge aus dem Buch »Gegen Entfremdung. Lyriker der Emanzipation und streitbarer Intellektueller«, das im April 2021 im Westend Verlag erscheint.
In der Pandemiekrise wird von marktradikalen Kräften die irrationale Angst vor der Einführung der Planwirtschaft geschürt. Unlängst machte ein führender Manager der Edelmetallbranche in einer Internet-TV-Sendung die Intellektuellen als die gefährlichsten Katalysatoren der »antikapitalistischen Mentalität« aus. Bemerkenswert ist, dass das in einer Gegenwart geschieht, in der der an Marx geschulte Intellektuelle in den öffentlichen Debatten praktisch keine Rolle mehr spielt. In der Bonner Republik, vor allem in den 1960er- und 70er-Jahren, war das noch ganz anders. Einer der bekanntesten Intellektuellen war damals Erich Fried. 1968 hatte er zusammen mit führenden Vertretern der APO einen Essayband mit dem Titel »Intellektuelle und Sozialismus« herausgebracht, in dem zu lesen war: »Je reaktionärer eine herrschende Klasse, desto stärker wird ihre Ideologie durch Antiintellektualismus geprägt.«
Stimmt das? Und ist unsere Gesellschaft heute schon so weit nach rechts gerückt, dass es gar keiner »Bedrohung« durch kritische Intelligenz mehr bedarf, um die Intellektuellen zu bekämpfen?
Zunächst gilt es festzuhalten, dass die Bedrohung durch den Intellektuellen als solchen von vornherein gegeben ist. Und noch bevor er eine solche für die Herrschenden darstellt, manifestiert sich seine Gefährlichkeit darin, dass er Gewohntes und gewohnterweise Geglaubtes hinterfragt, womit er die Selbstgewissheit des Common Sense, die für die Orientierung der Menschen im Alltag unabdingbar ist, unentwegt infrage stellt. Die »Unruhe«, die er dabei schafft, lässt ihn als den »Geist, der stets verneint« erscheinen, mithin als die Verkörperung von Negativem. Es ist bezeichnend, dass sogar eine geistige Größe wie Thomas Mann an Adorno monierte, dass dieser immer nur das Negative herausstelle. Adorno antwortete sinngemäß, dass es im schlecht Bestehenden die unerlässliche Aufgabe des Philosophen sei, dieses Schlechte, das es abzuschaffen gelte, zu benennen und zu seiner Bekämpfung zu drängen. Fraglich, ob sich Thomas Mann damit zufriedengeben konnte. Ganz gewiss kann der »Normalbürger« kaum damit leben.
Das war Erich Fried freilich bewusst. Er begegnete diesem Problem mit einer engagierten Lyrik, in der er häufig auf tagespolitische Ereignisse Bezug nahm und somit auch der Lebenswirklichkeit des »Normalbürgers« Rechnung trug, um mit dem Mittel der Sprache der Wahrheit, die immer konkret ist, zu ihrem Recht zu verhelfen. …
Das komplette Interview erscheint in der Melodie & Rhythmus 2/2021, erhältlich ab dem 19. März 2021 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.