Die Folgen der rechten Diskursverschiebung in Wissenschaft, Kunst und Medien
Auch wenn nicht vergehen kann, was nie bestand, ist die Freude über das vermeintliche Ende der »linken He- gemonie« unter Konservativen, vor allem Neuen Rechten derzeit groß. Abgezeichnet hatte es sich bereits in den 1990ern mit Botho Strauß’ »Anschwellendem Bocksgesang« − nicht zuletzt gegen das »Verkehrte«, die Linke. Heute teilen renommierte Philosophen und Literaten wie Rüdiger Safranski und Uwe Tellkamp frank und frei AfD-Positionen, und das gehobene Feuilleton öffnet bereitwillig seine Pforten für »rechte Denker«. Kein Grund zu besonderer Sorge, meinen die einen und vertrauen auf die »kritische Intelligenz« der BRD und die Immun- kräfte der bürgerlichen Demokratie. »Wir sind mehr«, lautet ihre Losung. Andere begreifen die wachsenden rechten Bildungseliten als Vorhut des Unheils einer Revision emanzipativer Denktraditionen und humanisti- scher Werte. Wir lassen folgende These diskutieren:
Es vollzieht sich eine »rechtsintellektuelle« Zeitenwende.
PRO
ERNTE DES NEOLIBERALEN PROJEKTS
Ich studiere den Worst Case nicht, um ihn herbeizureden und damit er eintritt − im Gegenteil. Aber zweifellos baut sich die »rechtsintellektuelle« Zeitenwende als diskursives, restauratives Großprojekt mächtig vor uns auf, nicht zuletzt dank einer neoliberalen Wende, die dafür die Groschen aufgetrieben und ihr oligarchisches Personal herangezogen und geschult hat. Eine ähnliche Entwicklung der »Wertumkehr« begleitete den Hochtechnologie- und Globalisierungsschub nach 1870 als Konkurrenzkampf um weiße Weltherrschaft und erst recht seinen furchtbaren Nachlass – heute ginge es wohl um die letzten Ressourcen der Menschheit. …
Jobst Paul ist Mitarbeiter des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung und arbeitet u.a. zu ideologischen Grundlagen von Ausgrenzung, Rassismus und Antisemitismus. Dieses Jahr erschien im Wochenschau Verlag »Der binäre Code. Leitfaden zur Analyse herabsetzender Texte und Aussagen«.
CONTRA
UNBERÜHRTE KAPITALVERWERTUNGSINTERESSEN
Das Unbehagen an der Einsicht, wonach wir in einer bemerkenswert schlecht eingerichteten Welt leben, hat sich erstaunlich abgeklärt. Bis vor nicht allzu langer Zeit schienen die Vertreter des Meinungsmarktes damit ausgelastet, der Politik die Leviten zu lesen. Es galt, demokratisch gewählten Verwaltern des Gemeinwohls, die schwer von Begriff waren, zu einem tieferen Verständnis ihres Tuns zu verhelfen. …
Roland Pohl ist seit 1993 als Feuilletonredakteur für die österreichische Tageszeitung Der Standard tätig, heute als Erster Theaterkritiker. Daneben legte er zahlreiche Einzelveröffentlichungen vor, zuletzt »Kind aus Blau. Ein Miles-Davis-Brevier« im Ritter Verlag (2017). Pohl lebt und arbeitet in Wien und Laab im Walde.
Die komplette Debatte erscheint in der Melodie & Rhythmus 1/2019, erhältlich ab dem 14. Dezember 2018 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.