Melodie & Rhythmus

Die wilde Jagd

11.12.2018 14:46
Fotos: Reuters / Vincent West

Fotos: Reuters / Vincent West

Neofaschisten in der Ukraine rekrutieren mit Black Metal Kämpfer für ihre »Reconquista«

Dmitri Kowalewitsch

Seit dem nationalistischen Maidan-Putsch von 2014 ist die Ukraine ein Pilgerort für militante Rechtsradikale aus Russland und Europa geworden. Faschisten aus Ost und West strömen in das Bürgerkriegsland, viele nur, um sich polizeilichen Ermittlungen in ihrer Heimat zu entziehen. Aber einige betrachten die Ukraine auch als Freiraum, wo sie ihre Neonazi-Projekte ungestört in die Realität umsetzen können. Darunter: Musiker aus Metalbands, die den Soundtrack zum Krieg liefern − und sogar selbst zur Waffe greifen. Etwa Aleksei Ljowkin, Frontmann der russischen Band M8L8TH, der nach Kiew floh, um für das berüchtigte Faschisten-Regiment Asow zu kämpfen, das in die Nationalgarde integriert ist: »Die Basis für die Rückeroberung ist in der Ukraine geschaffen«, sagt Ljowkin. »Sie ist der einzige Ort, an dem sich rechte Gruppen organisieren können.«

National Socialist Black Metal (NSBM) ist ein wichtiges Propagandainstrument im ukrainischen Bürgerkrieg geworden. Der Musikstil ist bei nationalistisch gesinnten ukrainischen Teenagern sehr beliebt und ein ideologischer Anknüpfungspunkt für Nazis aus anderen Ländern. Deswegen nutzen rechte Freiwilligen-Bataillone NSBM-Konzerte, um Musikfans als Kämpfer für ihre Sache zu rekrutieren. Zum Beispiel das Regiment Asow: Es propagiert offen rechtsradikalen Neopaganismus und organisiert Auftritte ukrainischer und internationaler NSBM-Bands, darunter auch deutsche Formationen. Asow kann sich das Sponsoring solcher Veranstaltungen leisten – es ist dem ukrainischen Innenministerium unterstellt, wird also aus Steuermitteln finanziert.

Andri Bilezki, Mitbegründer der Kampfeinheit und ehemals ihr Kommandant, wurde als Vorsitzender der Partei Nationales Korps, die aus Asows politischem Arm hervorging, ins ukrainische Parlament gewählt – und macht weiterhin seinen Anspruch als Führer der »Asow-Bewegung« geltend. Schon 2014, noch während des Maidans, tauchten Äußerungen Bilezkis in der internationalen Presse auf, in denen er sein Ziel folgendermaßen definierte: »Die historische Mission unserer Nation in diesem kritischen Moment ist es, die weißen Rassen der Welt in den letzten Kreuzzug um ihr Überleben zu führen.« Für die Verwirklichung setzt Asow auf die Zusammenarbeit mit westeuropäischen Nazis und Rassisten – und auf Black Metal als kulturelles Fundament.

Bereits Jahre vor dem Maidan-Putsch wurde der Aufbau eines ukrainischen Ablegers der Allgermanischen Heidnischen Front begonnen – analog zur Deutschen Heidnischen Front, die Ende der 1990er-Jahre von Hendrik Möbus, einem der berüchtigtsten Neonazis in Deutschland und Gründungsmitglied der NSBM-Band Absurd, ins Leben gerufen worden war. Möbus hatte 1993 mit Bandkollegen einen Mitschüler in Sondershausen ermordet und das Verbrechen später damit begründet, das Opfer sei ein »Volksschädling« gewesen. Inzwischen ist aus der Ukrainischen Heidnischen Front das neonazistische Netzwerk Wotan Jugend geworden, welche ein wesentlicher Bestandteil der ukrainischen Sozial-Nationalen Versammlung (SNA) ist – eine Basisorganisation von Asow, auch des Rechten Sektors, der die Maidan-Revolte militärisch angeführt hatte. Seit 2014 finanziert und organisiert Asow regelmäßig die neoheidnischen Musikfestivals The Black Sun und Asgardsrei und lädt dazu auch deutsche National-Socialist- und Aryan-Black-Metal-Bands ein, beispielsweise Stahlfront und Nordglanz. In Kiew teilen sie sich die Bühne mit lokalen NSBM-Bands wie Volia, Lyut, Prosynets, Svarga und Nokturnal Mortum. Auf dem Rechtsrock-Festival im thüringischen Themar verteilte Asow 2017 deutschsprachige Flyer, um Unterstützer für ihr Projekt anzuwerben.

Das Asgardsrei-Festival ist nicht von ungefähr nach der skandinavischen Version des Mythos von der »Wilden Jagd« benannt – einer Volkssage über geisterhafte Jäger, die als Vorboten von Tod und Katastrophe über den Himmel ziehen. Laut Olena Semenjaka, Mitorganisatorin und eine der führenden Köpfe der Partei Nationales Korps, verfolgt die Veranstaltung das Ziel, »eine metapolitische Agenda zu erzeugen«.

Diese Agenda dreht sich um drei zentrale Begriffe: Die Nationalisten suchen nach einem »Dritten Weg« als Alternative zu Kapitalismus und Kommunismus. Um diesen durchzusetzen, ist die »Reconquista« notwendig: die Rückeroberung Europas, ein historischer Verweis auf die Vertreibung der Muslime von der Iberischen Halbinsel im Mittelalter. Das »Intermarium« (der Begriff stammt von Józef Piłsudski, polnischer Alleinherrscher von 1926 bis 1935, der es zu einem antirussischen Strategiekonzept entwickelte, das heute zugunsten von Kiewer Putsch-Regierung, NATO und EU von dem deutschen Politikwissenschaftler Andreas Umland vertreten wird) ist das Gebiet, von dem die »Reconquista« ausgehen müsse. Denn Westeuropa ist, laut dieser faschistischen Ideologie, mit anderen Rassen verseucht − schuld daran ist die liberale Politik seiner Regierungen, die Massen von Migranten den Zuzug erlauben − und Russland »halb-asiatisch«. Somit bleibe nur noch das Osteuropa »zwischen den Meeren«, dem Baltikum an der Ostsee und dem Schwarzen Meer, als Ort der Wiederbelebung der »weißen Rasse« und Ursprung einer zukünftigen Rettung von Westeuropa. Das war auch das Konzept einer rechtsradikalen Konferenz namens PanEurope, die das Asow-Regiment am 15. Oktober 2018 unter Beteiligung der deutschen rechtsradikalen Partei Der Dritte Weg organisierte.

Ein regelmäßiger Gast auf den Festivals von Asow ist die oben erwähnte Band Absurd von Hendrik Möbius. Im Winter nimmt das Trio an der nächsten großen Veranstaltung teil: »Dezember 2018: Die Wilde Jagd ruft, und wir werden folgen mit einem weiteren Live-Auftritt beim Asgardsrei-Festival in Kiew, Ukraine«, ist auf der Website der Band zu lesen.

Ein politisches Ergebnis der Kooperation zwischen deutschen, ukrainischen und anderen Neonazis bei den NSBM-Konzerten und -Festivals war eine Konferenz mit dem Titel »Stahl Pakt«, die im Dezember 2016 im Rahmen des Asgardsrei-Festivals abgehalten wurde. Der Name erinnert an den Pakt, den Hitler und Mussolini 1939 unterzeichnet hatten. Die Konferenz wurde von Asow im Russischen Zentrum in Kiew organisiert (gegründet von dorthin geflüchteten russischen Faschisten und oppositionellen Nationalisten), zahlreiche europäische Rechtsradikale waren zu Gast, darunter Hendrik Möbus. Die Teilnehmer der Konferenz betonten das »große Potenzial, das Black Metal bereitstellt, um moderne kulturelle Herausforderungen zu bewältigen«.

Auf dem Blog der Veranstalter fand sich zudem dieses Statement: »Das Symbol des Stahl-Pakts unter der Schirmherrschaft der Reconquista – diesmal zwischen dem europäischen Westen und dem Osten – gewinnt zunehmend an Bedeutung. Das Europa des 20. Jahrhunderts, auf der Suche nach früherer Größe und Souveränität, einst gespalten in Regimes, die um die Weltherrschaft rangen, bekommt endlich die Chance einer Wiedervereinigung gegen neue Bedrohungen der Zivilisation.«

Um im Kampf für ein zukünftiges Reich Intermarium zu siegen, trainieren Neonazis und Nationalisten aus Ost und West im Bürgerkrieg, der bis heute im Donbass weitergeht – als internationale Freiwillige des Asow-Regiments und anderer ukrainischer Einheiten und Paramilitärs. Die NSBM-Szene hilft bei der Mobilisierung mit ihrer Gewaltästhetik. Die Liedtexte glorifizieren Männer, die bereit sind, für ihre »Rasse« zu sterben. Und die Konzertveranstalter haben eine klare Botschaft an ihr Publikum: »Vielleicht wirst du nicht nur ein Fan oder Zuhörer, in deinem Land kannst du beweisen, dass du ein echter Krieger bist.«

Der Beitrag erscheint in der Melodie & Rhythmus 1/2019, erhältlich ab dem 14. Dezember 2018 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

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