Melodie & Rhythmus

»Der Junge ist einfach so aktuell«

27.12.2017 14:05
Foto: Lutz Edelhoff

Foto: Lutz Edelhoff

Katharina Thalbach hat Gedichte von Brecht aufgenommen

Interview: Fabian Schwinger

Berlin-Charlottenburg, Oktober 2017. In einem Tonstudio an der Hardenbergstraße liest Katharina Thalbach an einem Vormittag rund 50 Gedichte und Lieder aus der Feder Bertolt Brechts ein – die Hälfte jener Anthologie, die Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld 1998 zum 100. Geburtstag des Dramatikers, Lyrikers und Librettists herausgab. Von der »Legende vom toten Soldaten« bis zu den »Buckower Elegien« ist alles vertreten – auch die weniger bekannte, in Hexametern gesetzte Version des Kommunistischen Manifests, dessen Rezitation sich Thalbach mit ihrem Kosprecher Sylvester Groth teilt. Nach getaner Arbeit vertraut die Schauspielerin M&R Details ihrer besonderen Beziehung zum Dichter an.

Das Einlesen ging ja erstaunlich schnell. Spiegelt sich darin Ihre jahrzehntelange Erfahrung mit Brecht?

Klar. Ich muss zugeben, dass ich bis auf zwei Gedichte alle Werke sehr gut kannte. Vieles davon sind ja auch Lieder, die ich sowohl in Soloprogrammen als auch in Inszenierungen – ich weiß nicht, wie oft – gehört habe, also absolut auswendig dahinträllern kann. Es ist natürlich etwas anderes, wenn du die Lieder liest und nicht mehr die unterstützende Musik dazu hast: »Surabaya-Johnny« nur zu sprechen, ohne die Musik im Ohr. Aber die Erfahrung hilft enorm. Ich glaube, deswegen hat man mich auch für diese Produktion ins Studio geholt – eben weil mich eine sehr lange Geschichte mit Brecht verbindet. Im Grunde genommen würde ich mal sagen: die Muttermilch.

Was gefällt Ihnen so an Brecht, dass Sie immer wieder auf seine Stoffe, z. B. auch als Regisseurin, zurückkommen?

Was wir heute bei den Aufnahmen wieder festgestellt haben: Der Junge ist einfach so aktuell. Also alle Texte, die er schreibt, gerade die politischen Texte – du kriegst einen Schreck, als ob er die wirklich gestern nach den Nachrichten verfasst hätte. Dazu kommt natürlich eine enorme Portion Humor, auch die Fähigkeit, die normalen Dinge des Lebens sehr schön und deftig zu beschreiben: Blut, Schweiß und Tränen und all die weiteren Flüssigkeiten, die es da noch zu holen gibt. Und das in einer Sprache! Ich kenne, ehrlich gesagt, keinen anderen deut- schen Dichter, der das heute kann. Deshalb finde ich es auch verwegen, bei Brecht vom »alten Hut« zu sprechen − dann sollen die sich mal alte Hüte angucken!

Beim Einlesen sind Sie sehr schnell durch Schaffensphasen und Stile gesprungen: Ging es gerade noch um die Kindsmörderin Marie Farrar, folgt kurz darauf ein Sonett über die Herrlichkeit des Geschlechtstriebs. Wie trifft man da immer den richtigen Ton?

Es gehört ja zu meinem Beruf, dass man wechselt. Ich bin das gewohnt, zudem ich schon viele Male Gedichte eingelesen habe. Unter anderem auch Lyrik von Thomas Brasch, der sich immer als Schüler von Brecht begriffen hat. Die Vielfalt ist also nicht so sehr das Problem. Lyrik ist ja manchmal auch eine Formsache. Oder eine Gefühlssache. Das Schöne ist, dass man mir hier vertraut. Mein Regisseur zeigt durch die Fensterscheibe: Daumen hoch oder Daumen runter. Zur Not mache ich es halt noch mal.

Das längste Gedicht ist Brechts in Verse gesetzte Version des Kommunistischen Manifests.

Das Original habe ich 2006 bereits in voller Länge eingesprochen. Aber das Brecht-Manifest war mir wirklich neu. Das kannte ich noch nicht – für mich eine absolute Entdeckung! Da habe ich natürlich gemerkt, wie gut Brecht seinen Marx studiert hat. Und wie er diese Analyse dann auf seine Art und Weise weiterführt und in eine lyrischere Form bringt – großartig. Es gab also keine, mal böse gefragt, Irritationen der Art, dass Ihnen ein Gedicht plötzlich vollkommen befremdlich erschienen wäre? Das nicht. Aber es gibt Vorlieben.

Und die wären?

Sagen wir einmal umgekehrt, es gibt Sachen, die ich nicht so sehr mag. Aber darüber will ich nicht reden. Man muss die Kinder ja alle gleich lieben, auch wenn sie ganz verkrüppelt sind. [lacht]

Bei der Aufteilung des Textkorpus zwischen Sylvester Groth und Ihnen hat man Ihnen klassischerweise alle Frauen rollen zugestanden. Also natürlich auch die »Seeräuberjenny« …

Ja schon, aber an anderer Stelle darf ich den Frauen auch das Vögeln erklären und von meinem Schwanz sprechen. Ich hab` mit der Aufteilung keine Probleme, denn ich hab` das Yin und das Yang eh gleichwertig in mir drin. Das Verhältnis zu meinem imaginären Schwanz ist ausgezeichnet – und der wiederum hat eine ausgezeichnete Verbindung zur Damenwelt. Ich leide sozusagen unter mir selber, weil ich ja auch der Mann bin. Bei »Surabaya-Johnny« bin ich halt beides, ich gucke mir ins eigene Gesicht mit der Pfeife. Das ist hart.

Sie hatten vorhin Brechts fortwährende Aktualität erwähnt. Woran dachten Sie da genau – haben Sie ein Beispiel für uns?

Das findet sich jetzt nicht unter den Gedichten, aber natürlich ist da dieser ewig gültige Satz, der mein Verhalten wirklich bis heute geprägt hat: »Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?« Nach den letzten Bankenkrisen müssen wir darüber doch überhaupt nicht mehr diskutieren. Als ob er das nicht schon in den 20er-Jahren in der »Dreigroschenoper« kassandramäßig prophezeit hätte, dass das einfach eine Bagage von Verbrechern ist.

Brechts Werke werden heute von vielen Kulturschaffenden als belehrend empfunden, als mit zu viel erhobenem Zeigefinger. Sehen Sie das genauso?

Ach komm, das sind immer dumme westdeutsche Dramaturgen, die das behaupten. Die sollen die Klappe halten! Die wollen wahrscheinlich lieber Hermann Hesse lesen und sich dabei wichtig vorkommen. Brecht funktioniert nicht für irgendwelche Zeitungsschreiberlinge, die aus dem Feuilleton kommen, und auch nicht für Dramaturgen − mit dem Publikum hingegen funktioniert er hervorragend: Ich habe dieses Jahr in Paris an der Comédie-Française »Arturo Ui« inszenieren dürfen – und das noch vor der Wahl, als Marine Le Pen wie ein Damoklesschwert über Frankreich hing. Und die Leute haben sich so packen lassen von diesem Stück, dass sie am Schluss gebrüllt haben: »Vive la République!« Weil die es bei dieser Geschichte vom Aufstieg eines Faschisten mit der Angst bekommen haben. Und Brecht hätte das alles wahrscheinlich noch mal präzisiert. Ich würde so gerne wissen, wie er heute die Welt beurteilen würde. Ich glaube, das wäre sehr amüsant.

Interessanterweise war auch Siegfried Unseld im Nachwort seiner Anthologie bemüht zu versichern, dass Brechts Werke »durch keine vordergründige ›Parteinahme‹ oder ideologische (sprich: marxistische) Position geschmälert werden können«.

Der hat wahrscheinlich Brecht immer in schlechten Theatern gesehen, wo die Inszenierung dann wirklich wie ein Zeigefinger war − wo das zum Einschlafen war. Wenn ich jetzt nur die Lehrstücke nehmen würde, okay, dann wäre ich auch ein bisschen verloren. Aber daraus besteht Brecht nicht. Das ist der geringste Teil von ihm.

Mit der Kritik am vermeintlich erhobenen Zeigefinger hat man Brechts revolutionäre Aussagen entschärft, seine Werke musealisiert.

Das finde ich total schade. Damit haben sie ihn aus der aggressiven, kämpferischen Ecke rausgeholt. Deswegen sage ich doch: Diese ganzen Dummbeutel gehören alle eingesperrt! Da würde ich mir eine Kunstpolizei wünschen. Ich finde das ziemlich verbrecherisch, was mit Brecht in der Wiederaufbereitung getrieben wurde. In Westdeutschland extremst.

Haben Sie nach den Gedichten bereits weitere Pläne für eine Zukunft mit Brecht geschmiedet?

Ich hab` ja schon ziemlich viel abgegrast. Mich hat immer der »Galilei« interessiert, weil ich die Frage der Wissenschaften, und wie Brecht damit umgegangen ist, sehr spannend finde. Auch da wäre mir lieb, er würde noch leben – dass man weiter an der Thematik arbeiten kann, weil diese ja noch einmal an Dringlichkeit gewonnen hat. Was könnte ich denn noch machen? »Im Dickicht der Städte« habe ich schon auf die Bühne gebracht, die frühen Einakter, »Baal«, »Trommeln in der Nacht« – ich bin ziemlich …

… durch mit Brecht?

Nein, damit kommst du ja gar nicht durch! Aber ich kann gut mit dem Bisherigen leben, ja. Ich fände es schön, wenn andere sich den wieder vornehmen, junge Leute – und weiter mit ihm umgehen.

Bertolt Brecht | 100 Gedichte
Gelesen von Katharina Thalbach und Sylvester Groth. Ausgewählt von Siegfried Unseld
Deutscher Audio Verlag

Das Interview lesen Sie in der Melodie & Rhythmus 1/2018, erhältlich ab dem 29. Dezember 2017 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

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