Melodie & Rhythmus

Von der Skyline zum Bordstein

26.12.2016 14:21
Foto: Holger Pelzer

Foto: Holger Pelzer

Bei Straßenrapper Infidelix schlug das Schicksal per Handycam zu

Christoph Schrag

Der Hip-Hop kommt von der Straße. Und er kehrt auf die Straße zurück. Genauer: auf die Warschauer Straße in Berlin. Sie ist für den Mann mit dem Mikro und den Beats zur Bühne geworden, wie auch der U-Bahnhof Schlesisches Tor oder der Alexanderplatz. Er spielt überall dort, wo viele Menschen vorbeilaufen, die ihn sehen und hören können. Und er kommt an, weil seine Texte sitzen und seine Leidenschaft mitreißend ist. Sie überträgt sich selbst noch via wackeligem Handyvideo. Denn ein solches bescherte dem Straßenrapper Infidelix ein Publikum, das er sich nie hätte träumen lassen. Über eine Million Aufrufe im Netz für ihn und eine Sängerin, die ihn im U-Bahnhof ansprach, um mit ihm gemeinsam zu improvisieren. Dieser Auftritt machte ihn bekannt.

»Weird how you spend 6 years working hard as fuck to get ur music to the people«, schreibt Infidelix auf Facebook. »Trying every way possible I knew. And then it’s a 2 min video of me in a subway station. That changed my life forever. Trippy shit.« Der Amerikanische Traum verspricht, dass jeder alles erreichen kann, wenn er nur hart arbeitet. Die Geschichte war zwar immer ein Märchen, aber der Traum wird offenbar noch immer geträumt. Infidelix hat seinen American Dream kurzerhand nach Berlin exportiert. Der Weg dorthin war aber alles andere als leicht, und gradlinig war er schon gar nicht.

»I was tired of having nothing
So I turned it into gold.« – Gold

Infidelix, mit bürgerlichem Namen Bryan Rodecker, stammt aus Houston, Texas. Er ist nicht allein bei seinen leiblichen Eltern aufgewachsen. Die letzte Familie, in der er lebte, schickte ihn auf eine Militärakademie, danach ging es kurz zur Marine. Seine letzte Station in den Staaten war die Universitätsstadt Denton bei Dallas, wo er sich neben dem Studium mit Restaurant-Jobs über Wasser hielt. Die Musik war immer dabei. Aber erst mit Mitte zwanzig entschied er sich, mehr daraus zu machen. Er hängte alles an den Nagel und tingelte quer durch Europa. Dabei hatte er nicht unbedingt vor, eine Karriere als Straßenmusiker einzuschlagen. In Amsterdam gingen ihm allerdings die Optionen aus. Er hatte kein Geld mehr und probierte es mit öffentlichen Hip-Hop-Performances – zu Beginn ohne Erfolg. Doch irgendwann gelang es ihm immerhin, von der Hand in den Mund zu leben. Vor zwei Jahren dann landete er in Berlin, wo das Schicksal per Handycam zuschlug.

Durch seine regelmäßigen Straßenmusik- Gigs und den viralen Effekt des Impro- Videos hat sich Infidelix eine so große internationale Fangemeinde aufgebaut, dass er sich inzwischen Hilfe fürs Geschäftliche holen musste. Den unverhofften Rückenwind will er mitnehmen für das Album, an dem er derzeit in verschiedenen lokalen Studios arbeitet. Im Februar soll es erscheinen und natürlich seine Geschichte erzählen: »Busk Life« – das Leben eines Straßenmusikers.

Infidelix Busk Life
Citizen Soldier Entertainment

Der Beitrag erscheint in der Melodie und Rhythmus 1/2017, erhältlich ab dem 30. Dezember 2016 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

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