Melodie & Rhythmus

Staatspop

28.12.2015 14:09
Die Initiative Musik präsentiert sich der Welt auf dem SXSW-Festival in Texas Foto: Franz Glatz

Die Initiative Musik präsentiert sich der Welt auf dem SXSW-Festival in Texas
Foto: Franz Glatz

Wie subversiv kann staatlich geförderte Musik sein?

Matthias Rude

Kunstmusik wird seit Langem staatlich bezuschusst. Die Förderung populärer Musik hingegen ist noch relativ jung. Alles begann 2002: Die Bundesrepublik nehme im Weltmusikmarkt-Ranking zwar einen der vorderen Plätze ein, in Sachen Musikwirtschaftsförderung aber bilde sie im internationalen Vergleich das Schlusslicht, wurde in einer von Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin geförderten Studie moniert. Darin wurde die »Musikexportförderung« verschiedener Länder analysiert und die Einrichtung eines deutschen Musikexportbüros gefordert. Die Studie wurde im Auftrag der Musikindustrie angefertigt – die natürlich ihre Bereitschaft signalisierte, »Exporthilfe« in Anspruch zu nehmen. Vielleicht um objektiver zu wirken, wurden auch mögliche »Risiken« benannt – zum Beispiel: »Durch die Förderung könnte die ›natürliche Auslese‹ der Wirtschaft, die nicht unbedingt immer falsch sein muss, unterbrochen werden.«

Den von sozialdarwinistischen Prinzipien getragenen Bedenken zum Trotz stellte der Bund für einen Zeitraum von drei Jahren die Mittel für ein deutsches Musikexportbüro zur Verfügung – mit der Agenda, »den weltweiten Absatz deutscher Tonträger weiter zu steigern«. Offenbar war es dabei wenig erfolgreich. In einem Antrag an den Bundestag aus dem Jahr 2007, in dem Politiker von CDU/CSU und SPD gemeinsam eine Stärkung der deutschen Popmusik verlangten, heißt es jedenfalls über das Projekt: »Die erhofften Wirkungen für die deutsche populäre Musik konnten bislang nur begrenzt erreicht werden und knüpfen nicht an den Erfolg anderer Länder an.« Von den Politikern wurde Musik vor allem als Wirtschaftsgut und Standortfaktor betrachtet. Während klassische Musik »seit Jahrhunderten als Exportschlager deutscher Kultur angesehen werden« könne, spiele zunehmend auch die populäre Musik eine wichtige Rolle »für das Ansehen Deutschlands im Ausland«, so die Argumentation. Andere Länder würden ihre Popmusik bereits »durch deutlich intensivere Exportbestrebungen« fördern; Deutschland müsse hier aufholen, sonst könne es als »Land der Ideen« im globalen Wettbewerb nicht bestehen.

Die Antragsteller wurden erhört: Inzwischen fördert das Auswärtige Amt, wenn »außenpolitische Erwägungen« dafür sprechen, Auftritte im Ausland direkt – so waren etwa zwei Konzerte der Toten Hosen in Usbekistan und Kasachstan dem deutschen Staat weit über 68.000 Euro wert. Vor allem aber wurde, mit dem Segen aller Parteien und unter Beteiligung der Lobbyorganisationen der Musikindustrie, 2007 die Initiative Musik gegründet. Grundsätzlich gilt: Die Musikindustrie finanziert die Struktur, die Politik stellt die Fördermittel. Das bedeutet, dass die Geschäftsstelle in Berlin von der GEMA und der GVL mit 400.000 Euro im Jahr finanziert wird; den Hauptteil der Fördermittel, 2,5 Millionen Euro, stellt die Kulturstaatsministerin zur Verfügung − derzeit Monika Grütters. Die CDU-Politikerin, schrieb die taz kürzlich, sei »nicht nur ganz oben, in der höchsten Etage des Kanzleramts angekommen. Sie repräsentiert, wo immer sie steht, Deutschland.«

In bislang 31 Runden wurden 1.400 Projekte gefördert. Über die Anträge entscheidet der Aufsichtsrat. Vorsitzender ist Dieter Gorny, Cheflobbyist der deutschen Tonträgerindustrie, sein Stellvertreter der CDU-Politiker Steffen Kampeter, der ab Juli 2016 Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sein wird. Beide sprechen von der Vernetzung zwischen Kultur, Wirtschaft und Politik. Laut dem Produzenten Ralf Weigand ist es bei der Entscheidung über die Förderanträge auch wichtig, »auf neue und schrille Töne zu setzen, die für Mut und Innovationsgeist stehen« – besonders begeistert ist er deshalb von Chefket und der Antilopen Gang.

Für die Geschäftsführerin Ina Keßler ist Popmusik »Wirtschafts-, Image- und Standortfaktor«. Das dürfte für Künstler, die Wert auf ihre Unabhängigkeit legen, nicht gerade attraktiv klingen. »Wird man gefördert, muss man das Logo der Initiative Musik auf die Veröffentlichung pinnen, und das (anfangs) in Schwarz-Rot-Gold. Das erkläre mal einem Punk- oder Reggae-Label. Ist das nicht ein Widerspruch in sich?«, so Eva Klitz vom Verband unabhängiger Tonträgerunternehmen. Viele Indies würden aus diesem Grund prinzipiell keinen Antrag auf Förderung stellen. Trotzdem tun es einige − pro Projekt winken immerhin bis zu 30.000 Euro. Und so besteht sogar der Großteil der geförderten Künstlerprojekte aus Releases, die bei Independent-Labels veröffentlicht werden.

In seinem Buch »Das Geschäft mit der Musik« kritisiert Berthold Seliger die staatliche Subventionierung. Er spricht von »Staats-Pop« und »Nation Branding«, es handle sich um eine »Umarmungsstrategie«, die Integration subversiver Potenziale. Besonders problematisch findet er, dass vor der Veröffentlichung von Verlautbarungen, die mit einem geförderten Projekt zusammenhängen, eine Freigabeerlaubnis der Initiative Musik eingeholt werden muss. »Wer Fördermittel haben will, muss also einen Maulkorb anlegen. Geld macht gefügig, und das ist ja wohl auch der Sinn der Sache«, so Seliger. Michael Wallies, Pressesprecher der Initiative Musik, widerspricht: Inhaltlich rede man den Bands nicht rein, erklärte er gegenüber M&R und versichert: »Die künstlerische Freiheit ist für uns essenziell. Daher wurde eine Förderung aus derartigen Gründen noch nie gekürzt oder gestrichen.«

Eine Frage bleibt trotzdem: Wie ernst kann man beispielsweise die linken Parolen der Rapperin Sookee nehmen und die Band Irie Révoltés, die ja immerhin für sich beansprucht, den »Sound der Rebellion« zu machen, wenn sie sich in ihren Texten zwar gegen den Staat positioniert (»notre relation avec l’état n’test pas bonne«), sich Auslandsauftritte aber von genau diesem Staat bezahlen lässt – wobei, so die entsprechende Pressemitteilung der Initiative Musik, für die Band »der Ausbau der internationalen Karriere im Mittelpunkt« steht?

Ein weiteres Beispiel ist Audiolith. »Das, was einige als antideutsche Gesinnung auffassen, halte ich für eine notwendige, kritische Auseinandersetzung mit der Welt«, meint Lars Lewerenz, Gründer und Inhaber des Elektro-Punk-Labels. Wie kommt es dann, dass er mit dem Sponsoring mehrerer seiner Acts vom deutschen Staat offenbar kein Problem hat? Sein Kompagnon Artur Schock zeigt sich verständnisvoll nach allen Seiten: »Manche lassen sich vom Goethe-Institut auf Auslandstour schicken, weil sie sonst nie ins Ausland könnten. Das kann ich schon verstehen. Andere haben eben keinen Bock, sich als Aushängeschild der deutschen Kultur vorführen zu lassen und da Vorfeldarbeit für deutsche Außenpolitik zu machen. Das kann ich auch verstehen.« Mit der von ihnen als subversiv und links vermarkteten Abneigung gegen den deutschen Staat scheint es den Hamburgern jedenfalls nicht sonderlich ernst zu sein. Eine »popkulturelle Stadtführung mit Audiolith-Records« war ein Programmpunkt der von der Initiative Musik initiierten Themenreise »On Tour in Germany«, auf der internationale Journalisten der »Popstandort Deutschland« nahegebracht werden sollte − auf Einladung und mit Geldern des Auswärtigen Amtes. »Musik als Kulturgut ist von großer Bedeutung, wenn es darum geht, die Wahrnehmung und das Image von Deutschland als Kulturnation im Ausland zu gestalten und zu steuern«, erklärt ein Vertreter von Frank-Walter Steinmeiers Behörde, die auf ihren Websites Statements veröffentlicht wie: »Deutschlands Bestimmung: Europa führen, um die Welt zu führen«. Eines ist sicher: »Antideutsch« ist das nicht.

Den Artikel lesen Sie in der Melodie und Rhythmus 1/2016, erhältlich ab dem 30. Dezember 2015 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

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