Melodie & Rhythmus

Popfeminismus

28.12.2015 14:32
Foto: Picture-Alliance / Mary Ecans Pi

Foto: Picture-Alliance / Mary Ecans Pi

Subversiver Ansatz oder längst Teil des Mainstreams?

Im Zuge der sogenannten Dritten Welle des Feminismus hat sich ab den 1990er-Jahren der Popfeminismus etabliert. Seine Vertreterinnen formulieren ihre Kritik an gesellschaftlichen Geschlechternormen anhand popkultureller Phänomene und sehen sich oft auch selbst als Popkünstlerinnen, die durch ihr Wirken in der Gegenwartskultur feministisch agitieren. Es geht, wie es in einer Einführung zum Thema heißt, auch darum, »dem antifeministischen Backlash, der dafür sorgte, dass man sich unter ›der Feministin‹ immer eine unattraktive, humorlose, männerfeindliche Frau vorstellte, ein anderes, attraktives, ja sexy Feministinnen-Ideal entgegenzuhalten«. Genau das kann aber auch zu einem Widerspruch führen, wenn der popfeministische Diskurs sich kaum mehr von dem gesellschaftlichen Mainstream unterscheidet, den er eigentlich kritisieren soll, und Musikerinnen vorrangig nach ihrem Style und ihrer Sexyness beurteilt.

Wir lassen folgende These diskutieren:

Der popfeministische Diskurs reproduziert sexistische Denkmuster

PRO

Parfüm statt Skills

Als ich ein Kind war, faszinierten mich die Zeitschriften meines älteren Bruders: Es gab so viel Musik zu entdecken! Die Lifestyle-Magazine meiner Mutter dagegen deprimierten mich zutiefst – schon im Alter von fünf Jahren. Vielleicht reagiere ich deshalb bis heute allergisch auf den eingefrorenen Glamour dieser Prinzessinnen-Traumwelten. Umso schlimmer, wenn ich merke, dass ausgerechnet der von mir in Deutschland mitinitiierte popfeministische Diskurs das Wort »Pop« immer mehr aus dem Musikzeitschriften-Kontext löst und scheinbar ein riesiges Begehren hegt, den Mainstream nach den Werten des Mainstreams zu befragen. Ja, Popfeministinnen in Deutschland wollen seit einigen Jahren immerzu im arschteuren Glamour von Disco-Popsängerinnen die Antworten auf alle Fragen des Feminismus finden: Fleischkleid, Oberschenkel, Körbchengröße. …

Kerstin GretherKerstin Grether gilt als eine der Erfi nderinnen des Popfeminismus in Deutschland. Sie ist Schriftstellerin (»Zuckerbabys«, »Zungenkuss«), Journalistin (Spex) und Sängerin bei der Band Doctorella. Gerade hat sie das Indie-Label Bohemian Strawberry gegründet.
Foto: Promo

CONTRA

Legitime Breitenwirkung

Zunächst möchte ich mein Unbehagen über den Begriff »Popfeminismus« äußern – meinen alle dasselbe, wenn dieses Wort fällt? Manche haben dabei vielleicht einen antiseptischen, neoliberal gelagerten »Feminismus light« im Sinn, der niemandem – und vor allem nicht den Männern – auf den Schlips treten möchte und sich deshalb zwischen alle Stühle setzt. Ikone dieser Form von Popfeminismus: Beyoncé in Netzstrümpfen vor der Leuchtschrift »Feminist«. Feminismus als wohlfeile Ware, zumindest für eine Saison.

Eine andere Definition meint die Positionierung feministischer Haltungen innerhalb der Popkultur, also innerhalb von Musik, Kunst, gesellschaftlichen Trends und Politik. Und da »Pop« von »populär« kommt, also Breitenwirkung will und sucht, ist es völlig legitim, geradezu unabdingbar, die Oberfl äche zu betrachten – im Pop ging es niemals »nur« um Musik, auch nicht bei männlichen Stars. Elvis‘ kreisendes Becken, Morrisseys aufgeknöpfte Hemden, die zart-androgyne Ausstrahlung von Ja, Panik: Auch männliche Musiker werden angeguckt, auch deren Musik wird via Image verkauft.

Christina MohrChristina Mohr lebt in Frankfurt am Main und verdient Brötchen und Miete bei einem Sachbuchverlag. Nach Feierabend schreibt sie für verschiedene Magazine, u.a. CULTurMAG und satt.org, über Pop und Feminismus – häufig auch in Kombination.
Foto: Holger Gey

Die kompletten Diskussionsbeiträge lesen Sie in der Melodie und Rhythmus 1/2016, erhältlich ab dem 30. Dezember 2015 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

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