Melodie & Rhythmus

Zustände, wie bei der Mafia

31.12.2013 13:28

Maik Hausmann
»Chart-Gott« Maik Hausmann zeigt bei Media Control in Baden-Baden ein Poster mit einer Hitliste. Im Auftrag des Bundesverbandes der Musikindustrie erstellt Media-Control wöchentlich die Hitlisten der Musikstars

Schwerpunkt BackstageVon Geheimniskrämern, Tricksern und Betrügern – warum die Charts kein Abbild der Verkäufe sind
Text: Tim Renner, Fotos: dpa

In den großen Plattenfirmen der Musikbranche galt ein Geschäftsführer- Job bei den Schwesterfirmen in der Schweiz als die absolute Traumposition direkt vor dem Ruhestand. Zum einen erreichen die Medien aus Deutschland, Frankreich und Italien die drei großen Sprachgruppen des Landes – Kommunikation und Marketing für die neuen Veröffentlichungen wird also großteils von außen erledigt, ohne dass man als Firma vor Ort einen Finger krümmen muss. Darüber hinaus hat das Land einen sehr hohen Lebensstandard und besticht durch Seriosität und Solidität – zwei Eigenschaften, die der alternde Geschäftsführer zu schätzen weiß. Doch spätestens, seit ein junger, australischer Ingenieur namens Shigs Amemiya dort Zwischenstopp zum Skifahren machte, ist dieser Traum geplatzt. Eigentlich wollte er nach Sheffield weiterfliegen, um für Jaguar neue Komponenten für ihre Autos zu entwickeln, doch beim Après Ski lief »Creep« von Radiohead, und während er dazu tanzte, verliebte er sich in eine Servicekraft und blieb im Land. Seither mischt Shigs mit seiner Firma iMusician die lokale Musikwirtschaft auf. Er brauchte einen neuen Job, liebte Musik und Autos werden in der Schweiz nun einmal nicht gebaut.

Vor zwei Jahren hat er Wettbewerbsbeschwerde gegen die Majors und ihren Verband (ifpi) eingelegt. Das Verfahren führte dazu, dass eine Strafzahlung von 3,5 Millionen Schweizer Franken (2,9 Millionen Euro) gegen den Major-Verband verhängt wurde. (Aktuell versucht Shigs, die Möbel der EMI Electrola Schweiz aufzukaufen, denn seine Firma wächst und die EMI wurde nach der Übernahme durch die Universal aufgelöst.) Neue Zeiten. Worum es bei der Strafzahlung ging?

Shigs bringt mit seiner Firma Künstler auf die internationalen Downloadportale oder zu den Streamingdiensten, die noch kein oder nur ein sehr kleines Label haben. Darunter auch der Act Da Sign & The Opposite. Ihr Song »Slow Down, Take It Easy« wurde landesweit in einer großen Werbekampagne für mehr Vernunft im Straßenverkehr eingesetzt. Prompt schoss er bei iTunes in die Top 5 und hielt sich dort lange. In den offiziellen Schweizer Charts, war der Titel jedoch nicht zu finden. Erstaunlich, denn auch in der Schweiz gibt es kaum noch einen Markt für Singles auf CD. Das iTunes-Ranking ist bei Singles daher eigentlich identisch mit der Schweizer Hitparade. Shigs forschte bei der ifpi nach. Der Verband der Major-Plattenfirmen gibt schließlich die Ermittlung der Charts in Auftrag.

Nach einigem Zögern seitens des Verbands bekam er die Auskunft, dass man nur Titel in den Charts ausweisen könne, die von Vertrieben stammen würden, die durch die ifpi, also ihn selbst, zertifiziert seien. Das wollte Shigs mit iMusician gerne werden – er fragte deshalb höflich nach, wie man denn das Zertifikat bekommen könne. Die verblüffende Antwort lautete, dass das leider unmöglich sein, denn dafür müssten den Vertrieb mindestens zwei der sechs ifpi Vorstände kennen, was bei iMusician nicht gegeben sei. Den ifpi-Vorstand der Schweiz bildeten damals die Geschäftsführer von Sony, EMI, Warner und Universal, sowie zwei weitere, große Schweizer Vertriebe.

Dem Ingenieur Shigs platzte, ob der Gepflogenheiten seiner neuen Branche, der Kragen. »Das sind Zustände, wie bei der Mafia«, schnaubte er und suchte einen Anwalt auf. Dort empfahl man ihm alles zu sammeln, was im Zusammenhang mit den Schweizer Majors krumm liefe, um dann eine Paketbeschwerde bei der Weko (Wettbewerbskommission) einzureichen. Da kam schnell einiges zusammen:

• Um die Preise von Gütern in der reichen Schweiz möglichst gering zu halten, erlaubt der Staat parallele Importe.

Den kompletten Artikel des Schwerpunktes ‚Backstage‘ lesen Sie in der Melodie&Rhythmus 1/2014, erhältlich ab dem 3. Januar 2014 am Kiosk, im Bahnhofsbuchhandel oder im Abonnement. Die Ausgabe können Sie auch im M&R-Shop bestellen.

Tim RennerTim Renner (* 1. Dezember 1964 in Berlin) ist ein deutscher Musikproduzent, Journalist und Autor. Er war von 2001 bis 2004 Geschäftsführer der Universal Music GmbH in Deutschland. Anschließend gründete er Motor Entertainment, das Motor FM, Musikverlag, Booking Agentur, Management und Label umfasst. Vor kurzem erschien sein Insiderbericht: »Wir hatten Sex in den Trümmern und träumten: Die Wahrheit über die Popindustrie«.

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