Melodie & Rhythmus

»Ich will nie wieder dahin zurück, wo ich hergekommen bin«

29.12.2011 10:47

Sido

Sido ist finanziell saniert. Jetzt sucht er einen Imagewechsel
Text: Daniela Aue, Fotos: Timo Schmidt

Schwerpunkt GeldAufgewachsen zwischen Hochhäusern, Drogen und Kriminalität, ist Sido heute einer der erfolgreichsten Rapper Deutschlands. Als Achtjähriger kam er als Paul Würdig aus Ostberlin mit seiner Mutter in die tristen Betonburgen des Märkischen Viertels. Heute ist er 31, hat vier Studioalben veröffentlicht, davon drei mit Goldstatus. Ende 2011 versöhnte er sich mit seinem Erzfeind Bushido und produzierte mit ihm die Platte »23«. Im Film »Blutzbrüdaz« (Rezension auf Seite 81) spielt er Otis, einen Rapper mit Idealen, der irgendwann der Plattenindustrie die kalte Schulter zeigt. Was das alles mit ihm zu tun hat, welche Rolle Erfolg und Geld in seinem Leben spielen und wie er dabei noch authentisch sein kann, erzählt Sido im Gespräch mit der m&r.

Der Film »Blutzbrüdaz« ist ein kritisches Statement über die Geldgier der Plattenindustrie, bei der die Kunst oft nur noch Mittel zum Zweck ist. Du selbst bist bei Universal unter Vertrag. Hat dich das System nicht längst vereinnahmt?
Wie ich mit dem Thema umgehe, zeigt doch, dass ich mich nicht vereinnahmen lasse. Mein Glück war, dass ich nicht wie Otis und Eddy (die Hauptrollen des Films, d. Red.) gleich am Anfang meiner Karriere, als ich in den Augen der Plattenfirma noch Beinichts wert war, mit ihnen verhandelt habe. Als ich mich irgendwann mit denen an einen Tisch gesetzt habe, war der Hebel, an dem ich saß, mindestens genauso lang wie der der Plattenfirma. Wenn du noch niemand bist, kriegst du natürlich einen Vertrag, der dem entspricht. Das wird nicht der beste sein. Wahrscheinlich wirst du, wenn du berühmt bist, den kleineren Anteil an deiner Musik verdienen. Ich habe erst acht Jahre bei Aggro Berlin mein Business gemacht und bin dann zu einer Major-Plattenfirma gewechselt. Da hatte ich schon meine Goldplatten.

Sido im InterviewAls ich den Film sah, habe ich mich gefühlt, als würde ich gerade mit dir durch Berlin laufen, so echt wirkte das alles. Wie authentisch kannst du bei deinem Erfolg noch sein?
Ich halte mich für sehr authentisch. In meiner Musik mache ich nur das, was ich bin, ich spreche immer über mich. Da kannst du alle meine fünf Platten hören, und dann weißt du, was los war, als ich mit 18 mein erstes Album gemacht habe. Jetzt hörst du einen 31-Jährigen, der alles Mögliche durchgemacht hat. Der Hauptanspruch an meine Musik ist, dass ich nichts sage, was ich mir nicht auch zumuten und tragen kann.

Du kommst aus dem Märkischen Viertel, bist in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Was hat der Erfolg aus dir gemacht? Ist Provokation bei so einer Karriere überhaupt noch möglich?
Man provoziert ja nur, um auf sich aufmerksam zu machen. Ich glaube, dass ich dieses Stilmittel nicht mehr brauche.

Man könnte ja auch provozieren, um auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen.
Dazu muss ich nicht mehr provozieren. Ich kann die Dinge jetzt auch auf normale Art sagen. Eine intelligente Weise wirst du wahrscheinlich von mir nie hören, aber zumindest eine erwachsenere Art und Weise.

Wie hat dich das Märkische Viertel geprägt?
Ich bin ja – und ich hoffe, das merkt man auch – kein normaler Wohlhabender. Ich sehe noch genauso aus wie früher, kümmere mich noch genauso um mich, bin immer noch derselbe Typ. Meine Wohnung ist komplett spartanisch eingerichtet, ich wohne zur Miete, ich habe eine große Couch, denn wenn ich chille, will ich auch die Bei ne hochlegen können. Ich habe einen riesengroßen Fernseher auf so einem kleinen Ikea-Schränkchen mit einem Regal darüber, in dem alle meine Preise stehen. Das ist mein Wohnzimmer. Ach ja, die Ecke für meinen Hund ist auch noch da. Aber das ist es schon. Ich bin so komplett zufrieden. Das hat, glaube ich, das Viertel aus mir gemacht, weil ich mein Leben lang nichts hatte.

Es gibt ja auch Leute, die sich durch den Reichtum verändern, großkotzig werden und mit Geld um sich schmeißen.
Das sind aber meistens Leute, die auch schon so waren, als sie arm waren.

Die Einstellung hat man oder man hat sie nicht?
Genau. Aber dann geht man für seinen Erfolg auch über Leichen. Zum Glück hatte ich das nie nötig.

Wie viele Kumpels sind auf der Strecke geblieben, als du erfolgreich wurdest?
Das große Problem bei Freunden ist nicht der Erfolg, sondern das Geld. Natürlich habe ich viel mehr als die Leute, mit denen ich früher zu tun hatte. Und die meisten von denen haben immer noch nichts. Ich habe denen so oft geholfen, wie ich konnte. Doch irgendwann erwarten die das einfach von dir. So etwas mag ich nicht. Manchmal fühle ich mich ausgenutzt.

Wie eng bist du noch mit deinem Viertel verbunden?
Ich wüsste nicht, was jetzt gerade los ist, weil der größte Teil der Leute, die ich aus dem Viertel kenne, nicht mehr dort wohnt. Ich bin nicht mehr so tief drin wie früher, wüsste nicht, auf welche Partys man geht oder welche Drogen angesagt sind. Aber ich bin oft dort, weil meine Mutter und meine Schwester noch da leben.

Das komplette Interview lesen Sie in der melodie&rhythmus 1/2012, erhältlich ab dem 3. Januar 2012 am Kiosk oder im Abonnement.

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