Melodie & Rhythmus

Felix im Glück

29.12.2011 10:10

Felix Meyer
Felix Meyer (dritter von links) mit seiner Band

Felix Meyer spielte jahrelang als Straßenmusiker. Dort entdeckte ihn der Manager einer Comic-Pop-Band
Text: Christoph Schrag, Foto: Promo

Er hat sein Geschäft auf der Straße gelernt. Schön klingt das. Bodenständig und ehrlich. Vor allem in Krisenzeiten beschwören diese Worte eine Aura der Verlässlichkeit. Und tatsächlich ist jemand wie Felix Meyer krisenfest in einem Business, das noch immer kaum Ideen hat, wie man vielversprechende Künstler heute so aufbaut, dass sich das Versprechen auch einlöst. Also müssen sich die Künstler wie Felix Meyer selbst aufbauen, ganz konservativ von unten nach oben. Der Straßenmusiker ist dabei der stabilste Kandidat, denn er bekommt das, was alle wollen: den direkten Draht zum Publikum, inklusive Sofort-Feedback. So etwas wird heute eher im Internet und seinen sozialen Netzwerken vermutet. Aber es liegt auch auf den Straßen der Welt und in den spießigen Fußgängerzonen Deutschlands.

Wie die meisten guten Ideen wurde die Straßenspielerei aus der Not geboren. Felix Meyer hat sich auf diese Weise früher mit Kumpels seinen Urlaub finanziert. Sie sind mit ihren Instrumenten losgezogen und haben sich durch den Tag und Südeuropa gespielt. Heute bewerkstelligt Felix Meyer mit seinen Straßengigs das, was Marketingleute mit dem Schlagwort »Guerilla« verkaufen: Auf der Straße sammelt die Band das zahlende Publikum für das Clubkonzert am Abend ein. Ein Trick, der so uralt ist wie genial. Warum macht das nicht jeder so? Weil es harte Arbeit ist. Und, fairerweise muss man es dazu sagen, weil es auch nicht mit jeder Musik funktioniert.

Dem Sound von Felix Meyer hört man es an, dass er ein Straßenkind ist. Er kombiniert Chanson mit Tanzf lur, verlässt sich auf Holz als Klangkörper und holt den Rhythmus nicht nur aus dem Schlagzeug, sondern sehr gern aus dem Kontrabass. Darüber legen sich Geschichten wie ein kleines Ölgemälde von Hinterhofszenen. Das Personal der Erzählungen würde auch in Fellini-Filmen eine Anstellung finden, ihre unmittelbaren Sorgen und Verwicklungen münden in kleine Sehnsüchte, die sich zur großen Melancholie auftürmen, oder einfach in die nächste Schlappe des kleinen Mannes. Dazu darf man sich die Storyteller-Truppe um den Straßendichter als eine romantisierte Melange aus Vagabundentum und urbanem Intellektuellenhabitus vorstellen, mit der entsprechenden Garderobe, für die es die letzten 30 Jahre nicht gebraucht hätte.

Dieses Bild muss ihrem Produzenten gehörig imponiert haben, als er die Bohemiens in einer jener eingangs spießig genannten Fußgängerzonen zum ersten Mal sah und hörte. Es ist ausgerechnet ein Mann, der sonst das ganz andere Ende des Spektakelspektrums bedient, mit der Band Tokio Hotel. Aber bei näherem Hinsehen ist der Unterschied gar nicht so groß, denn wie immer im Pop geht es darum, Träume zu verkaufen. Dort träumen die Kids von sehnsuchtsvollen Comic-Wesen zwischen Unverstandenheit und erster Liebe, und hier ist es eben der Traum davon, dem ewigen Fernweh endlich nachzugehen und in der Welt zu Hause zu sein. Auch wenn dieser Traum ganz bodenständig gelebt werden muss.

Termine:
26.02. Berlin – Roter Salon, 27.02. Leipzig – Werk 2, 28.02. Dresden – Thalia Kino, 29.02. München – Kranhalle, 01.03. Stuttgart – Merlin, 03.03. Köln – Stadtgarten, 04.03. Bremen – Schwankhalle, 05.03. Hamburg – Kampnagel, 07.03. Lüneburg – Salon Hansen

Felix Meyer Erste Liebe/Letzter Tanz
105 music/Sony Music, VÖ: 20.01.2012
www.felixmeyer.eu

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